Aktualisiert am 25. Januar 2023 von Antje Tomfohrde
Wie werden wir oder unsere Nachfahren einst auf uns und unsere Art der Ernährung zurückblicken? Was werden sie dazu sagen, dass wir Tiere in viel zu engen Räume eingesperrt haben, ihnen ein Leben gemäß ihrer Natur verweigert haben, um sie in Massen zu schlachten, obwohl wir schon längst wussten, dass wir uns anders ernähren können, um weniger Tierleid zu verursachen und um mit pflanzlicher Ernährung der Aufheizung des Klimas etwas entgegenzusetzen? In „Einst aßen wir Tiere“ geht die niederländische Zukunftsanthropologin Roanne van Voorst dieser Frage nach.
Worum geht es in dem Buch?
Die Zukunft unseres Essens – dies ist der Untertitel des Buchs und das Thema mit dem sich Roanne van Voorst in „Einst aßen wir Tiere“ beschäftigt. Gleich zu Beginn, noch in der Einführung, macht die Autorin klar, dass die Vorstellung, dass wir als Menschheit aufhören, Tiere zu essen, ungefähr damit vergleichbar ist, was die Menschen vor dreihundert Jahren gedacht haben, wenn es darum ging, dass Hexen nicht mehr verbrannt werden würden. Es war nicht vorstellbar. Genauso wie es bei der Abschaffung der Sklaverei war oder dem Frauenwahlrecht. Und doch ist es so gekommen.
In Kanada zum Beispiel gibt es eine neue Gesundheitsrichtlinie, in der Kuhmilch nicht länger Erwähnung findet. Immer mehr Lebensmittelkonzerne entdecken den wachsenden Markt der Fleisch- und Milchersatzprodukte für sich.
Roanne van Voorst ist Zukunftsforscherin und zeigt in diesem Buch auf, wie sich die Welt in Hinblick auf unsere Ernährung ändern wird und auch unsere Einstellung zu dem, was gut und böse in Bezug darauf ist. Sie zeichnet das Modell der Eiweißrevolution als Zukunftsszenario, was sie als optimistischer beschreibt als es andere Zukunftsvorstellungen sind, denn in diesem Szenario entscheidet sich der Großteil der Menschheit dafür, auf pflanzliches Eiweiß zu gehen und nicht mehr auf tierisches Eiweiß zu setzen, um den Klimawandel aufzuhalten.
Sie beschreibt die Rolle der Landwirtschaft, die Rolle der Landwirte, die beginnen etwas anders zu machen und keine Tiere mehr halten. Dann geht sie darauf ein, dass auch die Geschichte von uns Menschen noch nicht fest in Stein gemeißelt ist, denn die Wissenschaft erfährt immer mehr über uns, so zum Beispiel, dass der Urmensch wohl eher Vegetarier war und sich im Laufe der Zeit erst daran anpassen musste, Fleisch auch wirklich verdauen zu können.
Die Rolle, die die Werbung gespielt hat, dass wir so weit kamen, dass wir meinen, ohne Fleisch- und Milchprodukte nicht gesund leben können, wird beleuchtet.
Zwischendurch beschreibt sie eine mögliche Zukunft anhand einer Familie, bestehend aus Großeltern, Eltern und Kindern die Entwicklung von Menschen, die Tiere aßen zu Menschen, die sich pflanzlich ernähren. Die Großeltern, die sich bewusst dafür entschieden haben bzw. es sich abgewöhnt haben, die Elterngeneration, die noch so halb mitbekommen haben, wie es war vor der sogenannten Eiweißrevolution und die Kinder, für die es furchtbar ist, daran zu denken, dass die Menschen, sogar die eigenen Großeltern, tatsächlich noch Tiere gegessen haben.
Dann geht Roanne van Voorst auf die Entwicklung des Veganismus ein und wie sich besonders in den letzten Jahren das Image vegan lebender Menschen vom grauen Mäuschen in Menschen, die „sexy & vegan as fuck“ sind, entwickelt hat. Auch ihre eigenen ersten Versuche vegan zu kochen, beschreibt sie im Buch.
Auf die Problematik, einen Partnermenschen zu finden, der auch vegan ist, und auf das Thema Zucker und die Vitamin B12 Versorgung geht sie ein. Sie beleuchtet Gesetze, die unsere Beziehung zu Tieren regeln, warum Tierversuche erlaubt sind und unser Verhältnis zu Tieren – die einen essen wir, die anderen hätscheln wir.
Sie spricht die Klimakrise an und was passiert, wenn wir so weiter machen wie bislang:
Wie hat mir „Einst aßen wir Tiere“ gefallen?
Das Buch habe ich mir gekauft, weil es laut Inhaltsbeschreibung das Thema einmal anders aufrollt. Es geht darum, dass Roanne van Voorst in ihrer Rolle als Zukunftsforscherin einen Blick zurückwirft. Sie schaut auf uns aus der Perspektive der zukünftigen Menschen und erklärt, wie sich die Menschen entschieden haben, diesen Weg zu wählen, um die drohende Klimakatastrophe noch aufzuhalten. Dies finde ich sehr positiv, denn bislang gibt es sehr viele dystopische Ansätze, begründet natürlich darin, dass wir den Hintern nicht hochkriegen und zum Beispiel hier in Deutschland noch nicht einmal ein Tempolimit hinbekommen.
Da kommt eine Rückschau aus einer Zukunft, in der wir doch noch die Kurve gekriegt haben, gerade recht. So eine positive Erzählung ist, was wir zusätzlich zu den wichtigen, erklärenden Fakten brauchen. Zunächst lautete ihre Fragestellung unter der sie das Buch schrieb, ob wir diese große Veränderung überhaupt durchlaufen können, bis ihr klar wurde, dass wir das können, denn wir haben schon so oft bewiesen, dass wir so eine Aufgabe bewältigen können. Es geht eher darum, ob wir das wollen.
Dies erinnert mich an Maja Göpel und ihr Buch „Wir können auch anders“. Es geht nicht darum, ob wir können, sondern darum, ob es das ist, was wir als Gesellschaft und als einzelne wollen. Und wenn wir dies nicht angehen wollen, stellt sich mir die Frage und vermutlich nicht nur mir, wer sind wir denn dann, wenn wir das nicht wollen?
„Einst aßen wir Tiere“ ist ein Buch, das aufklärt über die fatale Rolle der Lebensmittelindustrie, der Milch-, Eier- und Fleischproduktion und wie sie uns beeinflussen. Sie klärt auch auf, dass man sich auch mit veganer Ernährung richtig ungesund ernähren kann, wenn man nicht auf das achtet, was man so zu sich nimmt – ganz wie mit jeder anderen Ernährungsform auch.
Sie liefert den historischen Hintergrund und zeigt auf, wie sich der Blick auf unsere Vorfahren im Laufe der Zeit geändert hat und dass die Wissenschaft immer mehr über unsere Urahnen und ihre Lebensweise herausfindet. So finde ich es höchst interessant, dass sie darauf eingeht, wie die Entwicklung vom Pflanzenfresser zum Allesfresser geschah und das sie mit viel Darmgrummeln einherging. Sie geht auf die Rolle der Werbung ein, wie sie auch dazu genutzt werden kann, um zum Beispiel aus einem spießigen Grünkohl ein Superfood zu machen.
… Sehr viel später dann wurde das Gewehr erfunden, und danach etwas, das wohl als die zerstörerischste Waffe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet werden kann: die Domestizierung von Nutztieren, von denen jedes Jahr Millionen gezüchtet, unterworfen, befruchtet, vergast, mit einem Stromschlag hingerichtet und geschlachtet werden, so dass wir sie aufessen können. Einst aßen wir Tiere, Roanne van Voorst
Sie geht auch darauf ein, welche Rolle die Politik spielt, um an einem eher utopischen als an einem dystopischen Zukunftsmodell zu arbeiten, ob sie zum Beispiel Preise bzw. Steuern erhebt, die den CO2-Ausstoß mit Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigen und pflanzliche Lebensmittel subventionieren. Auch wir als Verbraucher*innen haben durch unsere Kaufentscheidung die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.
Es braucht natürlich noch mehr, als nur eine Änderung unseres Ernährungsverhaltens, aber dies ist ein großer Hebel, an dem jede*r von uns drehen kann. Und gerade das Beispiel, dass die Autorin von sich selbst erzählt, als sie versucht, eins zu eins das Pfannkuchenrezept von früher als veganes Rezept zu übernehmen, in dem sie nur die Zutaten austauscht zeigt, dass es auch viel damit zu tun hat, wie neugierig wir sind und ob wir Lust haben, noch etwas Neues zu lernen, neue Rezepte auszuprobieren. Es ist nicht alles einfach und es wird bestimmt mal verunglückte Pfannkuchen geben, aber irgendwann platzt der Knoten und es funktioniert.
Das finde ich sehr sympathisch an der Art, wie Roanne van Voorst schreibt. Sie drückt sich sehr geerdet aus und in einer Sprache, wie man in einem Gespräch mit Freunden, Gleichaltrigen nutzt. Das gefällt mir. Sie vermittelt dabei trotzdem sehr viel Wissen, beruft sich auf Studien, Kollegen und Kolleginnen, schreibt aber „wie ihr der Schnabel gewachsen“ ist und bringt das Thema dadurch auf eine persönlichere Ebene. Genauso wie die Geschichte der Familie, die wir in die Zukunft begleiten. Es ist eine Zukunft, die wir durchaus noch erleben können, d. h. dadurch schlägt sie die Brücke aus unserer Zeit in die Zukunft.
Auch weiß sie, dass sie vieles beschreibt in „Einst aßen wir Tiere“, dass sie aber noch nicht tief genug einsteigt, dies auf knapp 300 Seiten auch nicht geht und empfiehlt weiterführendes Informationsmaterial und Quellen, um unter anderem weniger missglückte Pfannkuchen zu produzieren.
Ihr gelingt das Spagat zwischen Wissenschaft und persönlichem Anliegen, sie macht Wissenschaft nahbar. Auch die Problematik, dass sie für ihren Mann auch tierische Produkte kauft und dass sie versucht, beim Essen nicht ständig darüber zu sprechen, welche Erkenntnisse sie gewonnen hat, kommen mir bekannt vor. Sie stellt sich nicht auf einen Sockel, sondern beschreibt das, was sie macht, tut und denkt als etwas, das viele von uns genauso durchleben, die Zweifel und Überlegungen, die kleinen Erfolge. Sie schreibt das Buch aus der Sicht einer Frau, die Verantwortung für die nächste Generation trägt und nicht perfekt ist.
Sie weiß auch, dass es nicht möglich ist aus den verschiedensten Gründen, dass wir alle sofort auf pflanzliche Kost umsteigen und ist auch da sehr realistisch, aber sie zeigt auf, wer es kann und wie auch Essen Moden unterworfen ist: „Soziale Angewohnheiten sind ansteckend“. So kann also der Trend, Fleisch zu essen, vom Trend köstliche, vegane Gerichte zu essen, abgelöst werden und um sich greifen. Schließlich wurde auch der Mythos, dass „echte“ Männer am liebsten am Grill stehen und Fleisch zubereiten, erst in der Neuzeit „gemacht“ und liegt nicht in der DNA des männlichen Geschlechts.
Sie beschreibt die Zeit, in der wir gerade leben, als eine Übergangszeit. So sehe ich das auch und es ist an uns zu entscheiden, wie die Zukunft aussehen wird.
Wie siehst du das?
Autor: Roanne van Voorst
Übersetzer: René Stein
Verlag: Wilhelm Goldmann Verlag
Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe: April 2022
ISBN: 978-3-442-31663-2
PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich verlinke auf meine Buchhandlung hier vor Ort in Hohenlimburg, die Hohenlimburger Buchhandlung. Dort kann auch online bestellt werden, was auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Händlern ist. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Im Nachhaltigkeitsimpuls Veganuary habe ich so einiges zum Thema vegane Ernährung zusammengefasst. Du findest dort u.a. Kochbuchtipps, Lesetipps und Empfehlungen für Blogs, Filme und Podcasts, die sich damit beschäftigen. Schau gerne einmal dort vorbei!