Aktualisiert am 22. Januar 2023 von Antje Tomfohrde
Die richtige Ernährung – gesund muss sie sein, lecker, sie darf nicht dick machen, mal ist die Ernährung der Steinzeitmenschen richtig (aber natürlich mit dem Tässchen Espresso zum Frühstück), mal dürfen es nur vom Baum gefallene Früchte sein oder es muss das Trio aus Fleisch, Gemüse und Sättigungsbeilage sein oder es dürfen auf keinen Fall Kohlenhydrate dabei sein oder es dürfen Kohlenhydrate sein, aber nur vor 18 Uhr.
Die Suche nach der richtigen Art sich zu ernähren, erinnert an die Suche nach dem heiligen Gral oder gar an eine Art religiösen Fanatismus. Der britische Wissenschaftler Tim Spector hat sich auf den Weg gemacht, „Die Wahrheit über unser Essen“ herauszufinden. Wie er das gemacht hat und was er auf dem Weg fand, erzählt er in seinem gleichnamigen Buch.
Worum geht es in dem Buch?
Aus dem Untertitel von „Die Wahrheit über unser Essen“ kann man schon eine Richtung erkennen, wohin der Weg von Tim Spector führte. Er lautet „Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist“. Als Experte für personalisierte Medizin und das Darmmikrobiom und Professor für genetische Epidemiologie beschäftigt er sich Tag ein, Tag aus mit Ernährung und besonders dem Thema individueller Auswirkungen der Nahrungszusammensetzung. Außerdem isst er wie wir alle und beobachtet die verschiedenen Reaktionen und Auswirkungen der zu sich genommenen Lebensmittel an sich selbst.
Und wie wir alle, die nicht professionell mit Ernährung beschäftigt sind, kennt er die Mythen, die sich um die einzig wahre, die beste, die gesündeste Art sich zu ernähren ranken und sich tief in unser Unterbewusstsein geschlichen haben. Und genau diese Ernährungsleitsätze, mit denen viele von uns aufgewachsen sind, nimmt er genauer unter die Lupe und geht auch auf die Rolle der Nahrungsmittelindustrie bei der Verbreitung bestimmter Ernährungsweisheiten ein.
23 Punkte sind es, die er in den einzelnen Kapiteln aufgreift und auf Herz und Nieren überprüft. Er startet damit, dass angenommen wird, dass für alle Menschen dieselben Ernährungsrichtlinien und Diätpläne gelten, dann geht es mit dem Frühstücksmythos weiter, das Kalorienzählen wird in Frage gestellt, Fette, Vitamintabletten und Zucker sind Thema, Fleisch, Fisch, Salz, Kaffee, Alkohol und Veganismus kommen auf den Prüfstand.
Auch geht es um die beliebte Empfehlung an Schwangere, dass sie doch jetzt für zwei essen sollten, um Allergien, den Sinn oder Unsinn glutenfreier Ernährung und ob Sport wirklich schlank macht. Wie steht es mit Fast Food und den Auswirkungen von Pestiziden und der Frage, ob Ärzt*innen in Bezug auf Ernährung wirklich Expert*innen sind?
Am Ende zieht er ein Fazit und kommt auf eine sehr knappe Empfehlung: „Ernähren Sie sich abwechslungsreich, hauptsächlich vegetarisch und möglichst ohne Zusatzstoffe.“ Auch gibt es durchaus Empfehlungen, die richtig sind, bei denen sich die Fachwelt einig ist. Und am Ende gibt es noch einen Zwölf-Punkte-Plan, der es einfach macht, sich im Dschungel der Empfehlungen zurechtzufinden.
Was ist mein Eindruck von „Die Wahrheit über unser Essen?“
Im Rahmen des Sachbuchclubs der Buchbloggerin Petzi (Die Liebe zu den Büchern) habe ich „Die Wahrheit über unser Essen“ gelesen. Es lag schon hier, weil mich der Titel angesprochen hat und dann kam es gelegen, dass dieses Buch ausgewählt wurde. Austausch finde ich gerade bei Sachbüchern noch einen Tacken besser als bei Romanen.
Zunächst einmal finde ich den Aufbau des Buches gut, denn Tim Spector geht in seiner Einleitung darauf ein, dass selbst er als Experte nicht davor gefeit ist, den als Kind mitbekommenen Ernährungsleitsätzen unbewusst noch zu folgen und geht auch darauf ein, dass Wissenschaft komplex ist und sich die Erkenntnisse immer wieder ändern, je nach aktuellem Stand der Forschung, sprich, auch er hat die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Eine Schwierigkeit ist zum Beispiel, dass es nur wenige verlässliche Langzeitstudien zu bestimmten Fragestellungen gibt und es auch Fehlinterpretationen gibt, besonders wenn entscheidende Aspekte nicht beachtet werden bzw. erst später untersucht werden konnten.
Was mir auch gut gefällt, ist die Tatsache, dass er persönliche Beispiele benennt, wie z. B. die unterschiedlichen Reaktion seiner Frau und von ihm auf bestimmte Lebensmittel. Dadurch untermal er sehr wirkungsvoll die These, dass es nicht „die“ Ernährung für alle gibt, sondern für jeden Menschen eine eigene Art „der“ Ernährung. Wir sind alle so unterschiedlich, wie sollte es dann möglich sein, dass wir alle gleich sind, was die Ernährung angeht? Allein, dass die Menschheit in verschiedenen Umgebungen lebt, macht es schon klar, dass das gar nicht sein kann.
Einen ganz wichtigen Punkt finde ich die Erkenntnis, dass das Frühstück nicht die wichtigste Mahlzeit des Tages ist und so vielleicht vermieden wird, dass Kindern von Klein auf falsches Essverhalten antrainiert wird. Wenn mein Körper mir morgens sagt, dass er keine Lust auf Frühstück hat, mir geradezu schlecht davon wird, warum sollte ich ihm dann Essen aufzwingen und es nur unter Würgen hinunter bekommen. Genauso ist es mit damit, dass für manche eine Schale mit warmem Essen besser ist zum Frühstück als eine Schale Flocken mit kalter Milch. Auf den eigenen Körper zu hören und auszuprobieren, wie man sich mit und ohne Frühstück fühlt, ist ein sehr guter Ratschlag.
Auch geht er darauf ein, wie schädlich Zucker und Zuckerersatzstoffe sind und wie perfide die Industrie Marketingbegriffe wie „Diät“ und „kalorienreduziert“ einsetzt und genauso wie eine gute Lebensmittelkennzeichnung aussehen könnte. Es hat viel mit dem Verarbeitungsgrad zu tun.
Fleisch und Fleischverzehr spricht er auch an, auch wie wichtig es ist, angesichts der Klimakrise und Versorgung von immer mehr Menschen, einfach weniger davon zu essen, auch wenn er eine komplett vegane Ernährung mit vielen Ersatzprodukten nicht empfiehlt. Allerdings sieht er die Vorzüge der pflanzlichen Ernährung und rät dazu, die tierische Komponente nur noch einen kleinen Teil der Nahrung sein zu lassen, vor allem auch hier auf die verarbeiteten Produkte zu verzichten.
Er geht auf neueste Erkenntnisse zum Darmikrobiom ein und wie wichtig es ist, dass wir dies gesund erhalten und die in der Darmflora lebenden Bakterien pflegen und gut versorgen. Dies kann nicht nur Auswirkungen auf unsere physische, sondern auch auf unsere psychische Gesundheit haben. Hier passiert gerade sehr viel im Bereich der Forschung.
„Die Wahrheit über unser Essen“ gibt einen guten Abriss darüber, wie wichtig es ist, bestimmte Dinge einmal zu hinterfragen und wahrsten Sinne auf den eigenen Bauch zu hören. Tim Spector macht dies auf eine ganz angenehme Art, ohne dass er eine komplizierte, wissenschaftliche Sprache benutzt, sondern leicht merkbare Beispiele und Herleitungen verwendet.
Auch zeigt er auf, wie die Lebensmittelindustrie uns beeinflusst und es zum Beispiel geschafft hat, dass das Hauptaugenmerk bei Übergewicht nicht auf der zuckerhaltigen und zu sehr verarbeiteten Nahrung, die den Reiz auslöst, immer mehr zu essen, sondern darauf, mehr Sport zu treiben liegt. Natürlich trägt Sport zur Gesundheit bei, aber er ist nicht allein dafür verantwortlich, ob jemand übergewichtig ist oder nicht. Hier sollten wir uns immer mal wieder ins Gedächtnis rufen, dass diese künstlich zugesetzten Stoffe nun wirklich nicht Bestandteil der Nahrung unserer Vorfahren waren und unser Körper somit auch nicht darauf ausgelegt ist, sie gut zu verarbeiten.
Gesunde Ernährung ist auch Aufgabe der Politik, sie dient der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Information ist unsere eigene Aufgabe, damit wir unsere Kinder für „echtes“ Essen begeistern können. Diesen politischen Aspekt und dass sich der Autor nicht scheut, die unbequemen Wahrheiten über die Lebensmittelindustrie, der Nahrungsmittelversorgungen und wie wir mit anderer Ernährung der Klimakrise etwas entgegensetzen können, anzusprechen, zeichnet dieses Buch zusätzlich aus.
Tim Spector hat mit „Die Wahrheit über unser Essen“ ein sehr erhellendes Buch geschrieben, dass ich gerne empfehle.
Kennst du „Die Wahrheit über unser Essen“ schon oder hast eine Empfehlung in dem Bereich für mich?
Autor: Tim Spector
Übersetzerinnen: Petra Huber und Sara Riffel
Verlag: DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe: August 2022
ISBN: 978-3-8321-8217-5
PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich verlinke auf meine Buchhandlung hier vor Ort in Hohenlimburg, die Hohenlimburger Buchhandlung. Dort kann auch online bestellt werden, was auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Händlern ist. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Ach Antje, wieder eine tolle Rezension! Doch ich habe schon zwei Ernährungsbücher im Regal und mir ja für dieses Jahr vorgenommen keine Bücher mehr zu kaufen, bevor ich nicht die im Regal gelesen habe. Vielen Dank für den Einblick. Ich finde es so wichtig dass es solche Bücher gibt und hoffe dass es vor allem Mädchen und junge Frauen lesen und sich nicht „Ess-Verrückt“ machen lassen! Ich hätte mir diese ganzen Erkenntnisse in meiner Jugend gewünscht, dann wäre das ein oder andere Figur-Ess-Störungs-Drama nicht aufgetaucht.
Liebe Valerie,
ich kann dich da voll verstehen (sowohl bei den Büchern im Regal, die gelesen werden wollen als auch bei den Erkenntnissen, die auch in meiner Jugend schon gut gewesen wären).
Liebe Grüße
Antje