Die Familie von Sara Mesa

Auf dem Foto ist das Buch Die Familie von Sara Mesa auf einer weißen Fläche stehend vor einer türkisen Wand abgebildet. Es ist das Header-Bild zur Rezension des Buchs.

Aktualisiert am 6. Juli 2025 von Antje Tomfohrde

übersetzt von Peter Kultzen

Nachdem mich der Roman „Eine Liebe“ von Sara Mesa so begeistert hatte, wollte ich mehr von der spanischen Autorin lesen. „Die Familie“ ist das zweite Buch, das ich von ihr gelesen habe.

Wovon handelt „Die Familie“?

„In dieser Familie gibt es keine Geheimnisse“ – das ist die von Damián, dem Familienoberhaupt, herausgegebene Devise an seine Familie. Sie können sich alles sagen und jede und jeder soll alles wissen. Das ist eines der Prinzipien des sozial engagierten Anwalts und seine Frau Laura und die Kinder Damiàn, Rosa, Martina und Aqui haben diesen Prinzipien zu folgen, ob sie wollen oder nicht.

„Während sie sich mit der Königin einen Bauern einverleibte, befiel sie das Gefühl, alle würden bloß Theater spielen, keiner tue, was er eigentlich tun wolle.“

Aus „Die Familie“ von Sara Mesa

Der Vater ist das Gegenteil von dem, was er meint zu sein. Er verehrt Mahatma Gandhi, propagiert Disziplin, Sparsamkeit und schonungslose Offenheit und setzt seine Familie mit seinen Regeln und Psychotricks so unter Druck, wie man es nur von Tyrannen oder Diktatoren kennt.

„Seine humanistischen Ideale wogen viel schwerer als egal welche Religion. Mit ihm eine Familie zu gründen hieß, ein Projekt in Angriff zu nehmen, das über sie als Einzelne hinausging, ja letzten Endes vielmehr auf einen allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt abzielte.“

Aus „Die Familie“ von Sara Mesa

Sara Mesa erzählt im Folgenden aus den Sichtweisen der einzelnen Personen (mit Ausnahme des Vaters), wie sie mit der Situation zuhause umgehen und welche Auswirkungen sie auf ihr späteres Leben hat. Jedes Kind und auch die Mutter machen ihre eigene Entwicklung durch und reagieren auf unterschiedliche Art und Weise auf die Seelenqual, der sie in der Familie durch den Vater ausgesetzt sind.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Von Anfang an baute Sara Mesa eine ungemütliche, kalte Atmosphäre auf. Die Wohnung, in der die Familie lebt, ist ein schmuckloser Ort ohne Freude, ohne Lachen, ohne die Wärme, die eine Familie ausmacht. Der Vater gibt die Richtung vor und der Rest hat sich zu fügen. Besonders deutlich wird dies bei den Besuchen des Onkels, der einfach so ist, wie er immer ist und eine ganz andere Lebhaftigkeit mitbringt, die beim Vater natürlich nicht gut ankommt.

„Mit der Zeit wurde ihnen klar, dass er durch sein Verhalten vielleicht gar nicht provozieren wollte. Vielleicht war Onkel Óscar einfach so – raumgreifend, ungeniert, heiter und stets zu Scherzen aufgelegt, und dazu frei von jeder Absicht, diejenigen, die anders waren als er, schlechtzumachen. Vielleicht ließ er sich bloß durch nichts und niemanden einschüchtern, und eben das diese vollkommene charakterliche Unabhängigkeit, war etwas, was den Kindern partout nicht in den Kopf wollte.“

Aus „Die Familie“ von Sara Mesa

Vieles, was in anderen Familien selbstverständlich ist, fehlt in dieser Familie. Das Spülen mit der Hand und warum es gemacht wird, ist ein Beispiel dafür. Dieses Verächtliche für diejenigen, die bequem sind und den leichten Weg gehen. Auch das Fehlen von Unterhaltung in Form von zum Beispiel einem Fernseher, Geschenke werden nicht nach dem Wunsch der beschenkten Person bemessen, sondern müssen den Moralstandards des Familienoberhaupts standhalten.

„Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen, weshalb das eigentliche Problem nicht darin bestand, keinen Fernseher zu haben, sondern darin, dies vor den anderen zugeben zu müssen – wie peinlich! Damián, Rosa und Martina täuschten in der Schule vor, dieselben Filme zu sehen wie alle anderen, so wie sie auch vorgaben, sie würden zum Geburtstag und zu Heilige Drei Könige Geschenke bekommen. Sie hatten gelernt, ungeniert zu lügen, und passten höllisch auf, sich nicht durch irgendwelche unbedachten Bemerkungen zu verraten.“

Aus „Die Familie“ von Sara Mesa

Es gibt Momente, in denen so spürbar ist, was den Kinder an Demütigung angetan wird, in dem sie vom „normalen“ Leben ausgeschlossen werden. Freude, Spaß oder gar ein liebevoller Umgang ist in dieser Familie nicht vorhanden. Es zählen übermäßiges Pflichtbewusstsein, Gehorsam und Maßhalten ohne Lob.

Jedes Kind bricht auf eine andere Art mit dem System. Eins lügt, eins passt sich völlig an, ein anderes isst übermäßig viel, sie finden Wege, das strenge Gebilde aufzubrechen. Wir begleiten die Kinder an verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebens, mal in der Kindheit und später als Erwachsene. Auf den ersten Blick wirkt es sprunghaft, macht aber als Stilmittel Sinn, denn so wird erzählt, wie sie letztendlich mit dem Erlebten später im Leben klar kommen und welchen Weg sie für sich gewählt haben, um dem Tyrannen zu entkommen oder auch nicht.

„Die Familie“ ist ein intensives Buch über das, was Familie auch sein kann, wenn es kein Hort der Liebe und des Rückhalts ist. Der Vater, der sich selbst für rechtschaffen hält und seine Regeln für Erfolgsgaranten eines friedlichen Zusammenlebens, der aber in Wirklichkeit alle unter seiner Weltsicht klein macht und durch diese Regeln erdrückt. Es ist diese psychische Gewalt, die er ausübt, die Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann und von Anfang ist dieser Psychoterror spürbar, als Leser*in ist es nicht möglich, sich dem zu entziehen. Die Erzählung ist körperlich spürbar und tut seelisch weh.

Sara Mesa ist ein weiteres Mal ein dichter Roman mit einer großen Intensität gelungen

Über die Autorin:

Sara Mesa ist eine der meistgelesenen spanischen Autorinnen der Gegenwart. Sie hat mehrere preisgekrönte, von der Kritik gefeierte Romane, Erzählungsbände und Essays verfasst. Ihr Roman »Eine Liebe« wurde unter anderem von ›El País‹ zum besten Buch des Jahres gekürt und 2021 mit dem Preis des unabhängigen Buchhandels ausgezeichnet. »Die Familie« stand wochenlang auf der Bestsellerliste in Spanien. Sara Mesa wurde 1976 geboren und lebt in Sevilla.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Die Familie
Autorin: Sara Mesa
Übersetzer: Peter Kultzen
Erscheinungsdatum: 20.02.2025
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3374-8

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar, das mir der Verlag Karl Wagenbach zur Verfügung gestellt hat. Herzlichen Dank hierfür! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Ein weiteres Buch von Sara Mesa ist „Eine Liebe“. Es ist das erste Werk der spanischen Autorin, das ich gelesen habe und das mich für die Autorin begeistert hat. Vielleicht ist ja auch etwas für dich. Und wenn du dann immer noch nicht genug hast, gibt es noch das Buch „Quasi“ von ihr. Es ist auch bei Wagenbach erschienen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert