Aktualisiert am 27. Juli 2022 von Antje Tomfohrde
Mit ihrem Buch „Autokorrektur Mobilität für eine bessere Welt“ liefert Katja Diehl eine Vision für eine Verkehrs- bzw. Mobilitätswende, die die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt. Ihr Anliegen ist eine gerechte und faire Mobilität.
Worum geht es bei Autokorrektur?
Verkehrswende, alternative Mobilität, Antriebswende und und und – all dies wird rauf und runter diskutiert und jede Seite listet ihre Argumente auf, warum nur die eine Lösung möglich ist. Katja Diehl hat für ihr Buch „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Welt“ einen anderen Ansatz gewählt. Sie hat über 40 Menschen in verschiedenen Lebenssituationen interviewt unter der Leitfrage „Willst du oder musst du Auto fahren?“.
Denn ihr Anliegen ist nicht, die Techniken zur Verkehrswende zu beleuchten. Sie möchte den Menschen ins Zentrum der Verkehrswende stellen und so das System dahingehend ändern, dass es weniger behindertenfeindlich, weniger sexistisch, weniger rassistisch und weniger patriarchal und somit auch weniger abhängig vom Auto ist.
So beschreibt sie zunächst, wie sich unsere Mobilität entwickelt hat und was sich durch den Fokus aufs Auto geändert hat. Hier zeigt sie Unterschiede männlicher und weiblicher Mobilität auf und geht auf Themen wie Dienstwagenprivileg und Tempolimit ein.
Im nächsten Kapitel geht es um das Thema Raum und wie sich der öffentliche Raum zu einem auto- und nicht mehr menschengerechten Lebensraum gewandelt hat. Was bedeutet dies für junge, für alte Menschen? Was bedeutet es für alle Menschen? Wie steht es um die selbstbestimmte Mobilität ohne Auto?
Unter der Überschrift „Mensch“ beleuchtet Katja Diehl, warum Menschen Auto fahren müssen bzw. es nicht können oder wollen.
Im letzten Kapitel geht es um ihre Vision, wie sich Mobilität für alle erreichen lässt. Hier zeigt sie anhand von Beispielen aus Großstädten wie Paris und Barcelona, was es schon gibt und wie es weitergehen kann, um auch den ländlichen Raum einzubeziehen. Auch geht sie darauf ein, dass eine Mobilitätswende sich nicht nur um Mobilität dreht, sondern bis an die Wurzel unseres Gesellschaftssystems geht, um hier eine wählbare Mobilität zu schaffen.
Meine Meinung zum Buch
Katja Diehls Hashtag Autokorrektur und ihr selbst folge ich schon seit einiger Zeit bei Twitter und auf anderen Social Media Plattformen. Wohne ich doch selbst in der Kleinstadt Hagen bzw. in einem der Randgebiete dieser Stadt und kriege regelmäßig die Pimpernellen, wenn ich von hier aus versuche, mit dem öffentlichen Nahverkehr ins Zentrum zu kommen oder gar in die weite Welt, z. B. zu meiner Arbeitsstelle. Um all dies mit Bus und Bahn zu erledigen, bräuchte es Zeit, viel Zeit und ist so für mich nicht machbar. Aufgrund der miserablen Finanzsituation der Stadt wird es nicht besser werden mit dem ÖPNV. Eine Fahrradstadt ist Hagen auch nicht und Angebote wie Carsharing etwas aus dem Bereich Science-Fiction.
Trotzdem träume ich davon, dass es möglich ist, hier etwas zu ändern, das über das eigene Engagement mit viel zu Fuß erledigen und den Bus trotz schlechter Anbindung in meinem Wohngebiet so häufig wie möglich zu nutzen und Rad zu fahren, hinausgeht. Und da kommt das Buch „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Welt“ gerade zum richtigen Zeitpunkt. Denn es geht bei der zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels nötigen Verkehrswende nicht nur darum, eine Antriebswende durchzuführen, sondern um eine wirklich Mobilitätswende. Wenn wir dies nicht tun, stehen wir statt mit Verbrennerautos mit E-Autos im Stau und wollen wir das wirklich? Oder wollen wir etwas ändern, wo wir sowieso etwas ändern müssen, um etwas zu erreichen?
Hier setzt das Buch der Mobilitätsexpertin an. Sie stellt Fragen, die bislang noch gar nicht in der hauptsächlich auf Technik fokussierten Diskussion gestellt wurden. Und die Kernfrage, die sie im Buch stellt, ist: „Willst du oder musst du Auto fahren?“ Wir (mich eingeschlossen) sind so aufs Autofahren konditioniert, dass diese Frage erst einmal merkwürdig anmutet. Aber sie macht Sinn, denn nicht jeder Mensch, der ein Auto hat, hat es, weil er es möchte, sondern, weil es für ihn keine andere Möglichkeit gibt (kein ÖPNV, es ist ein sicherer Ort, Behinderung u.v.m.).
Diese Frage ist wichtig, denn es möchte nicht jede Person Auto fahren. Auto fahren bedeutet auch, dass es immer wieder überraschende Kosten geben kann, ein ÖPNV Ticket ist planbar. Menschen mit wenig frei verfügbaren Mitteln kann das ein ordentliches Loch in die Haushaltskasse reißen. Ältere Menschen, die mittlerweile unsichere Fahrer*innen sind, fahren weiter Auto, weil es keine Alternative, keine andere Wahl gibt. Die Interviews, die Katja Diehl geführt hat, machen klar, was nicht offensichtlich ist.
Gut gefällt mir auch, dass sie die Entwicklung zu unserer heutigen Stadtplanung aufzeigt und was dies für uns Menschen bedeutet. Unser Lebensraum, egal ob Stadt oder Land, ist aufs Auto ausgerichtet. Dem Auto wird viel Platz eingeräumt, mehr als uns Menschen und anderen Mobilitätsangeboten. Wir tragen Sorge dafür, dass das Auto gut untergebracht ist, wenn wir arbeiten, einkaufen usw.. Wichtig ist, dass es in der Nähe ist. Dies ist bei der Raumplanung wichtiger geworden als die Möglichkeit, mit dem Fahrrad oder zu Fuß irgendwo hinzugelangen.
Kindern wird von klein auf beigebracht, auf die Autos zu achten. Dabei müsste es doch so sein, dass wir unseren Lebensraum so gestalten, dass Kinder gefahrlos Rad oder Roller fahren können, Ältere und Menschen mit Behinderungen sicher von A nach B gelangen können. Hier beleuchtet sie noch einmal, wie paradox es ist, dass wir einem Ding, das den Großteil des Tages nicht genutzt wird, so viel Raum geben.
Ein weiteres wichtiges Argument für menschengerechtere Orte mit weniger Autos ist, dass der Einzelhandel davon profitiert. Und das ist einleuchtend. Wenn ich mit dem Auto in die Stadt fahre (ich rede hier von Stadt, wenn ich den Ortskern des Stadtteils meine), gehe ich genau in den Laden, in den ich muss. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, nehme ich mir gleich mehr Zeit und wenn es gut läuft, treffe ich jemanden und trinke noch einen Kaffee mit dieser Person oder unterhalte mich zumindest kurz und gucke noch einmal im Buch- oder Weltladen vorbei. Und genau das wird in Stadtteilen beobachtet, in denen Straßen autofrei werden. Es gibt eine Renaissance des Stadtteils, was logisch ist, denn ohne Auto bin ich eher bereit, in der Nachbarschaft etwas zu erledigen als für jedes Teelicht in die Großstadt zu reisen.
Bevor ich jetzt den kompletten Inhalt kommentiere, eine Zusammenfassung: lest dieses Buch! Katja Diehl liefert eine Analyse, wie es zur heutigen Situation kommen konnte und liefert aber auch eine Vision, wie wir die Zukunft der Mobilität so gestalten können, dass sie gerechter wird und mehr Menschen, nach Möglichkeit alle, daran teilhaben können. Genau so eine Vision braucht es meiner Meinung nach, eine optimistische Vision, nicht eine Vision des Antriebsaustauschs und des Weiter-so, sondern eine Vision des Anders und Besser, weil am Menschen orientiert.
Und ja, es ist ein Traum, aber einer, der schon teilweise umgesetzt wird in Städten wie Barcelona und Paris und auch Hamburg macht sich auf den Weg. Von den großen Städten wird es dann aufs Land getragen. Ein guter, funktionierender ÖPNV ist eine Grundvoraussetzung dafür und der Wille und die Kraft, Visionen laut zu denken, damit sie umgesetzt werden können – auch auf dem Land ist Autokorrektur möglich.
Katja Diehl schafft es mit „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Mobilität“ zum Nachdenken anzuregen, den Status quo in Frage zu stellen und macht Lust darauf, an einer Mobilität für alle mitzuarbeiten. Sie liefert Beispiele, unterlegt ihre Thesen mit Zahlen und liefert jede Menge Argumente dafür, warum dieser Weg gut ist und nicht nur etwas für die großen Städte, sondern auch und gerade für Städte wie meine Heimatstadt Hagen und die dazugehörigen Randgebiete. Eine Autokorrektur bedeutet auch für solche Städte einen Gewinn an Lebensqualität.
Und natürlich ist es ein Buch, das aneckt und auch das ist gut so, denn es ist wichtig zu diskutieren und zu reden, um etwas zu bewegen und Veränderung möglich zu machen.
Es ist ein Buch, dass meiner Meinung nach Pflichtlektüre für jede Person sein sollte, die sich mit Verkehrs- und Kommunalpolitik beschäftigt, da es Hintergründe liefert, die den meisten so gar nicht klar sind und neue Ideen aufzeigt. Eine ganz klare Leseempfehlung und ich schließe mit einem Zitat bzw. einer Frage aus dem Buch:
Autorin: Katja Diehl
Illustrationen: Doris Reich
Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
Erschienen: Erstveröffentlichung 09.02.2022
ISBN: 978-3-10-397142-2
Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom S. Fischer Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür! Ich durfte das Buch für die Klimabuchmesse lesen und auf der Website findet ihr eine Kurzfassung meiner Rezension. Die Klimabuchmesse 2022 findet vom 13. bis 14. Juni 2022 in Leipzig statt und viele der Veranstaltungen werden auch gestreamt. Am 13. Juni 2022 wird Katja Diehl mit Verkehrsminister Volker Wissing über eine attraktive und klimagerechte Welt für alle diskutieren. Mehr zu dieser Veranstaltung findet ihr auch auf der Website der Klimabuchmesse (Programm). Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Wenn ihr euch neben „Autokorrektur Mobilität für eine lebenswerte Welt“ noch für weitere Klimabücher interessiert, empfehle ich euch „Noch haben wir die Wahl“ von Luisa Neubauer und Bernd Ulrich und „Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ von Nick Reimer und Thoralf Staud.