Und dann verschwand die Zeit von Jessie Greengrass

Auf dem Bild ist das Buch "Und dann verschwand die Zeit" von Jessie Greengrass auf einer hellen, holzähnlichen Fläche abgebildet.

Aktualisiert am 4. September 2024 von Antje Tomfohrde

Was passiert, wenn die Vorhersagen zur Klimakatastrophe eintreffen? Wie ist ein Leben möglich? Ist es möglich, abgeschnitten vom Rest der Welt zu überleben? Was bleibt wichtig? Jessie Greengrass hat mit „Und dann verschwand die Zeit“ einen Roman darüber geschrieben.

Worum geht es in „Und dann verschwand die Zeit“?

Das High House steht unweit einer kleineren, englischen Stadt auf einer Anhöhe. Es bringt ideale Voraussetzungen mit, um als Selbstversorgerhaus genutzt zu werden: es gibt einen Obst- und Gemüsegarten, eine Mühle und einen Gezeitentümpel, mit dessen Hilfe Strom produziert werden kann. Auch gibt es eine Scheune mit Vorräten, als Caro und ihr kleiner Halbbruder Pauly dort einziehen.

Francesca, Paulys Mutter und Caros Stiefmutter, hatte das High House geerbt und so auf Vordermann gebracht, dass einige wenige Personen dort überleben können im Fall einer Überschwemmung. Francesca und Caros und Paulys Vater engagieren sich im Kampf gegen die Klimakrise und eines Tages ist es soweit, dass Caro sich mit ihrem kleinen Bruder von London aus auf dem Weg zum High House machen soll, um sich vor der drohenden Überflutung in Sicherheit zu bringen.

Dort angekommen, werden sie von Grandy und seiner Enkelin Sally in Empfang genommen. Die beiden hatte Francesca gebeten, das Haus instand zu halten, damit es bereit ist für Pauly und Caro.

Sally, Caro und Pauly erzählen im Buch jeweils ihre Version der Geschichte. Es geht darum, wie es dazu kam, dass sie ins High House kamen und um ihre Empfindungen dabei. Jessie Greengrass erzählt von den Gefühlen der Protagonist*innen und wie ihr Alltag dort verläuft. Auch wird beschrieben, wie sich ganz langsam der Klimawandel bemerkbar machte.

In meiner Kindheit war es im Juli und August oft heiß, allerdings nicht so heiß wie später, als der Sommer das halbe Jahr andauerte, weiße Sonne am bleichen Himmel.Und dann verschwand die Zeit, Jessie Greengrass

Wie haben sie sich kennengelernt, was empfand Caro als Francesca in ihr Leben bzw. das ihres Vaters trat, was sind die inneren Kämpfe der drei, die es zusätzlich zum täglichen Überleben gibt? Welche Bedeutung haben Grandy und Sally für die Geschichte?

Das Buch spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft in England.

Meine Meinung zum Buch

Es gibt mittlerweile immer mehr Romane, die den Klimawandel thematisieren. Bei „Und dann verschwand die Zeit“ hatte ich eine ganz andere Geschichte vermutet, als ich mir die Beschreibung im Klappentext durchlas. Ich wurde positiv überrascht. Es geht nicht um eine reißerische Geschichte, in der vier Menschen das fast Unmögliche schaffen und eine Überschwemmung überleben und sich autark hervorragend im High House versorgen können.

Es geht natürlich auch ums Überleben und wie es den Hauptfiguren gelingt, aber nicht nur auf der primären Ebene, sondern auch wie es innen in ihnen ausschaut. Welche Gefühle bewegen sie, wie haben sie sich im Laufe der Zeit entwickelt und wie nehmen sie die Situation wahr?

Die Geschichte entwickelt sich ganz langsam. Erst einmal erfährt man als Leser*in, wie Sally mit Grandy zusammenlebte, wie Caro mit Pauly und der Stiefmutter klar kam und dann kommt die Zeit im High House und immer wieder Rückblicke. Irgendwann hat man wirklich das Gefühl, dass die Zeit verschwindet bzw. die Ebenen der Geschichte verschwimmen. Gleichzeitig bekommt man das Gefühl, mehr zu verstehen.

Diese Gedankenwelt ist das, was das Buch so fesselnd für mich macht. Es geht um Eifersucht, um das Gefühl, nicht genug zu sein und ganz stark um Einsamkeit und um Miteinander. Sally, Caro und Pauly – alle drei reifen im Laufe der Zeit und übernehmen auf unterschiedlichste Art und Weise Verantwortung für das Überleben der anderen und das eigene.

Es werden die Dinge angesprochen, die die drei im Laufe der Zeit lernen und wie sie mit Verlust umgehen und welche Dinge für sie Priorität hatten und später für sie Priorität haben. Es gewährt einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben und zeigt, wie wichtig eine Gemeinschaft ist, um zu überleben. Worauf können wir uns jetzt verlassen und was wird fehlen, wenn jegliche Infrastruktur fehlt?

„Und dann verschwand die Zeit“ ist kein fröhliches Buch, es ist auch nicht unbedingt ein optimistisches Buch, aber es ist ein Buch, dass zum Nachdenken anregt. Was wird alles verschwinden, wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie wir es kennen? Wie ist eine Welt ohne die medizinische Versorgung, die wir kennen? Wie funktioniert Überleben, wenn man nicht wegen jeder Kleinigkeit in den nächstgelegenen Laden kann, um etwas Notwendiges zu ersetzen? Nach dem Überleben der Flut fängt für die Bewohner von High House das Überleben erst an.

Es war so ein erhebendes Gefühl am nächsten Tag, überlebt zu haben. Wir hatten auf das Ende gewartet, und es war gekommen – aber es war, als hätten wir einen Gipfel erreicht, nur um herauszufinden, dass dahinter noch ein weiterer zu erklimmen war. Das hier war das Nachspiel. Wir hatten überlebt – aber ab jetzt galt es immer weiter zu überleben. Und dann verschwand die Zeit, Jessie Greengrass

Und trotzdem gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer bzw. diesen Moment, der trägt. Es ist die Gemeinschaft, die Liebe der Eltern oder der Älteren, die versuchen, die Jüngeren zu retten.

Das Buch hat mich ordentlich mitgenommen und es tat beim Lesen weh. Wenn die Autorin das bewirken wollte, hat sie es bei mir eindeutig geschafft! Es regt zum Nachdenken an, darüber, was wir gerade tun bzw. nicht tun, um die Klimakrise noch aufzuhalten und auch, wie wichtig die Gemeinschaft und das Miteinander sind, um zu überleben, um auch innerlich zu überleben.

„Und dann verschwand die Zeit“ malt in Gänze ein nicht unrealistisches Bild der Zukunft. Das ist das besonders Bedrückende an der Geschichte. Es ist nicht so, dass es als eine Erzählung aus einer fernen Zukunft zur Seite gelegt werden kann. Gerade, wenn wir die Nachrichten mit den immer wärmer werdenden Sommern und Überschwemmungen weltweit verfolgen, ist klar, dass es nicht unrealistisch ist, dass eines Tages große Landstriche unter Wasser stehen werden und der Lebensraum für uns Menschen kleiner wird. Der Notfall ist nicht mehr punktuell und eng regional eingegrenzt, sondern betrifft dann viele. Ein „Weiter-so“ geht dann nicht mehr. Das macht der Roman klar.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Und dann verschwand die Zeit
Autorin: Jessie Greengrass
Übersetzerin: Andrea O’Brien
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe: 4. Mai 2023
ISBN: 978-3-462-00196-9

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom Verlag Kiepenheuer & Witsch über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Ein weiteres Buch, das dir gefallen könnte, ist „Der Anfang von morgen“ von Jens Liljestrand. Hier geht es nicht um Wasser, sondern um Waldbrände in Schweden als Auswirkung der Klimakrise.

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