Aktualisiert am 23. Juli 2023 von Antje Tomfohrde
übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
England nach dem zweiten Weltkrieg – Robert möchte einmal das Meer sehen, die offene See, bevor er Bergmann wird, wie so ziemlich alle in dem Ort, in dem er lebt. Benjamin Meyers erzählt aus der Sicht des alten Robert, der auf sein Leben und seine Träume zurückblickt.
Worum geht es in „Offene See“?
„Wo ist das Leben geblieben?“ Mit dieser Frage beginnt das Buch und Robert die Rückschau auf sein Leben.
Der zweite Weltkrieg ist vorüber und Robert hat den einen großen Wunsch, bevor er Bergmann wird wie alle in seiner Familie und wie es von ihm erwartet wird. Er möchte einmal das Meer sehen, die Weite spüren, bevor er in die Enge des Berges muss. So macht er sich zu Fuß auf den Weg und wandert durch den Norden Englands, bis er an die See gelangt.
Aber es ist nicht nur die reine Lust oder gar Gier auf Leben, die Robert veranlasst, seinen Traum in die Tat umzusetzen. Er hatte sich schon von je her für die Natur begeistert und alles an Büchern dazu verschlungen, was er finden konnte. Je weiter er von zuhause entfernt ist, desto freier fühlt er sich.
Irgendwann trifft er auf Dulcie, eine ältere, sehr selbstbewusste und sehr anders wirkende Frau und ihren Hund Butters. Sie lädt ihn auf einen Tee ein und er bleibt erst zum Essen und dann länger. Dulcie und Robert ergänzen sich trotz all der Unterschiede. Sie gibt ihr Wissen und unkonventionelle Einstellung weiter, er schafft Ordnung bei ihr im Garten. Irgendwann will er im verwachsenen Teil des Gartens aufräumen, damit Dulcie wieder freie Sicht aufs die offene See hat. Das und der Fund von Gedichten an Dulcie sorgt für Unstimmigkeiten.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Schon lange hatte ich das Buch auf dem Schirm und nach einem Buchvorstellungsabend in der Buchhandlung in meinem Städtchen ist es bei mir eingezogen, um dekorativ auf einem Bücherstapel zu liegen. Um diesen Zustand zu beenden, habe ich es auf meinen #12für2023-Stapel gelegt und auf Instagram nach einem Menschen gesucht, der es gemeinsam mit mir liest. So kam es, dass Mirjam und ich dieses Buch im Buddy Read gelesen haben. Es war ein intensiver Austausch und wir lesen jetzt bald das dritte Buch gemeinsam!
Benjamin Meyers hat mich mit seiner Art zu schreiben von Anfang an in die Geschichte gezogen. Das Buch mit der Frage „Wo ist das Leben geblieben?“ zu beginnen, hat gleich eine Gedankenspirale in Gang gesetzt. Was möchte ich auf diese Frage eines Tages einmal antworten? Vielleicht ist es eine der Schlüsselfragen, die sich jede*r von uns am Ende stellen wird.
Die Angst oder besser der Unwille Roberts, im Berg Kohle abzubauen, so wie es Usus ist im Ort, dieses Gefühl des im Berg eingesperrt zu sein und eigentlich etwas ganz anderes machen zu wollen, tritt ganz stark zu Tage. Robert will sich mit Leben, mit Natur vollstopfen, um später – im Berg – davon zu zehren. Je weiter er von seinem Zuhause in Nordengland weg ist, desto entspannter wird er. So liest es sich dann auch. Die Freude des jungen Mannes an der Natur, an den Begegnungen, an der Freiheit – all das fühlt man beim Lesen.
Die Begegnung mit Dulcie, einer älteren Dame, die am besten als Freigeist beschrieben werden kann, ist zufällig, im Vorbeigehen. Die beiden ergänzen sich und bringen Licht in das Leben des anderen, sie tun sich gut. Robert hilft ihr auf praktische Art und Weise, repariert dies und das. Dulcie kocht für ihn, lässt ihn bei sich übernachten und – das Wichtigste – eröffnet ihm eine ganz andere Welt als die ihm bekannte, enge Welt.
Schwierig wird es, als Gedichte an Dulcie auftauchen. Benjamin Meyers lässt uns teilhaben an einer Aufarbeitung einer schmerzvollen Vergangenheit und gleichzeitig lässt er Robert erwachsen werden.
„Offene See“ ist ein wunderschönes Buch über den Funken, der manchmal in einem jungen Menschen erst entzündet werden muss und das Glück darüber, eine Funkengeberin zu finden. Es ist auch ein Buch darüber, sich im Alter mit dem Leben auszusöhnen. Alles eingebettet in die Schönheit der Landschaft um Scarborough und Whitby herum, verpackt in eine ruhige, ganz angenehme Sprache. Ich wollte nicht, dass es aufhört.
Für „Offene See“ gibt es eine ganz klare Leseempfehlung von mir – es hat mir auf allen Ebenen gefallen!
Autor: Benjamin Meyers
Übersetzt von: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe: 20.03.2020
ISBN: 978-3-8321-6598-7
PS: Dieses Buch habe ich selbst gekauft, falls du es online bestellen möchtest und nicht bei einem der großen Online-Shops kaufen möchtest, findest du hier den Link zu meiner Stammbuchhandlung, der Hohenlimburger Buchhandlung, denn mir liegt der Erhalt der kleinen Buchhandlungen vor Ort am Herzen. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Wenn du jetzt Inselweh bekommen hast und in Naturbeschreibungen Englands versinken möchtest, könnte „Vom Ende eines Sommers“ von Melissa Harrison etwas für dich sein.
Mirjam war in Folge 3 des Die Bücherstaplerinnen Podcasts bei Valerie und mir zu Gast. Wir haben natürlich über „Offene See“ gesprochen und was denn eigentlich ein Buddy Read ist.
Liebe Antje, du hattest ja schon in unserem Podcast mit Miri davon geschwärmt und ich hab es mir auch besorgt. Noch liegt es auf dem SUB, aber ich denke, wenn das Wetter so bleibt, les ich es bald. Danke für die Empfehlung und deine immer wieder lesenswerten Buchrezensionen! Bis bald, Valerie
Liebe Valerie,
vielen Dank für die Rückmeldung! Ich bin gespannt, wie es dir gefällt!
Liebe Grüße
Antje