Aktualisiert am 12. Juli 2023 von Antje Tomfohrde
Schweden im Sommer – sofort denke ich an rote Holzhäuser an von Wäldern umstandenen Seen oder – noch besser – eine kleine Insel mit besagtem roten Holzhaus in einem See. Doch kommen immer häufiger Meldungen von Waldbränden und ungewöhnliche trockene und heiße Sommer auch in Schweden. Die Klimakrise macht auch vor diesem Idyll nicht Halt. Jens Liljestrand hat mit „Der Anfang von morgen“ einen Roman zu diesem Thema geschrieben.
Wovon handelt „Der Anfang von morgen“?
Es ist ein heißer, trockener Sommer in Schweden. So ein Sommer, wie sie jetzt immer häufiger kommen werden. Das ganze Land leidet unter der Hitze und dann beginnen auch noch die Waldbrände. Auch dort, wo Didrik, Carola und die drei Kinder den Sommer verbringen. Sie müssen das Haus am See verlassen und machen sich auf den Weg. Allerdings kommen sie nicht weit und müssen zu Fuß weiter. So beginnt der Roman, der aus der Perspektive von vier Menschen, deren Geschichten miteinander verwoben sind, erzählt wird.
Den Anfang macht Didrik, der versucht, seine Familie aus der Gefahrenzone zu bringen. Allerdings funktioniert nichts so, wie es sollte. Didrik ist PR Berater, der Familie geht es gut, man macht sich zwar Gedanken über die Klimakrise, handelt aber nur halbherzig. Hinzu kommt, dass die Beziehung von Didrik und seiner Frau nicht mehr rund läuft.
Melissa, Influencerin und Ex-Geliebte Didriks, ist die zweite Person, aus deren Sicht wir Leser*innen die Geschichte erzählt bekommen. Sie hütet gerade die Wohnung eines alternden Tennisstars in Stockholm und versucht, wieder an die erfolgreiche Zeit als Influencerin vor der Pandemie anzuknüpfen. Die Klimakrise ist ihr egal, ihr Geschäftsmodell als Social Media Star beruht sogar darauf, dass sie ihr egal ist.
André ist der Sohn des ehemaligen Tennisspielers, dessen Wohnung Melissa hütet. Er ist mit seinem Vater auf einem Segeltrip durch den Schärengarten unterwegs und hadert damit, dass sein Vater ihn nicht wirklich sieht.
Vilja, Didriks pubertierende Tochter, macht den Abschluss mit ihrem Blick auf die Katastrophe. Bislang eher durch großes Konsuminteresse aufgefallen, beginnt sie Verantwortung zu übernehmen, während sie mit ihrer Mutter in einer Notunterkunft ist.
Diese vier Personen führen durch die Handlung und erzählen nacheinander und doch parallel ihre Version der Katastrophe, die in der Jetztzeit spielen könnte.
Wie hat mir der Roman gefallen?
Ich habe die Geschichte mit Spannung gelesen, wollte wissen, wie es weiterging und war geschockt von den Geschehnissen und den Beschreibungen Jens Liljestrands. „Der Anfang von morgen“ ist ganz nah an unserer Realität und dadurch, dass ich das Buch genau in dem Monat, in dem es spielt, gelesen habe, war ich auch von der Jahreszeit darauf eingestimmt. Nach einem außergewöhnlich heißen Sommer, Waldbränden auch in Deutschland, zeichnet der Autor ein realistisches Szenario.
Auch beschreibt er die Menschen so, wie viele von uns vermutlich handeln werden, das Ich zuerst und dann erst die anderen. Die erzählenden Personen sind mit Ausnahme von Vilja, die ein gewisses Potential hat, unsympathisch. Bei André wird klar, warum er so ist, Didrik und Melissa sind beide auf ihre ganz eigene Art sehr mit sich selbst beschäftigt.
Insgesamt ist es ein sehr düsteres Bild, dass der Autor mit „Der Anfang von morgen“ malt. Es gibt sehr wenig Wärme und Zusammenhalt, wovon ich hoffe, dass in einer solchen Situation doch mehr zum Vorschein kommt, denn bislang war es immer so, dass sich Menschen in Extremsituationen untereinander geholfen haben. Bestimmte Krisensituationen sind sehr realistisch beschrieben, vor allem wenn man das Wahlergebnis der 2022 stattgefundenen Wahl in Schweden bedenkt. Und doch bin ich nicht restlos begeistert von dem Buch. Es erscheint mir an manchen Stellen zu gewollt. Weniger hätte dem Werk gut getan.
Die eindringliche Sprache ist da, man kann die Hitze förmlich spüren, aber war mir ein bisschen zu viel. Die Auswahl der Personen passte für mich nicht. André bringt zwar noch einmal eine ganz andere Komponente hinein und er ist eine echt arme Sau, aber mir wäre die Sicht der Mutter zum Beispiel wichtig gewesen. Sie bleibt so passiv und still im Hintergrund. Auch war es nicht realistisch, dass Didrik nicht in sein eigenes Zuhause ging, sondern zu Melissa. Dies ist eine von vielen Momenten, die aufgrund der Geschichte so beschrieben wurden, aber vermutlich nicht der Realität entsprächen.
Dass die Figuren fast ausschließlich unsympathisch waren, war okay, es unterstreicht noch einmal, dass wir mit unserer Sorglosigkeit den Klimawandel und diese Situation verursacht haben. Aber es war mir ein bisschen zu viel insgesamt, nicht ausgewogen genug. „Der Anfang von morgen“ ist spannend, aber es war nicht das, was ich erwartet hatte. Es ist zu sehr persönliche Nabelschau.
Gut ist, dass mit „Der Anfang von Morgen“ ein weiterer Roman die Klimakrise thematisiert. Dies bedeutet, dass sie so langsam von der Sachbuchebene auch im Non-Fiction-Bereich ankommt und mehr im Alltag gesehen wird. Das ist ein großer Fortschritt in Bezug auf die tatsächliche Wahrnehmung der Klimakrise.
Autor: Jens Liljestrand
Übersetzer*innen: Thorsten Alms, Karoline Hippe, Franziska Hüther und Stefanie Werner
Verlag: S. Fischer Verlag
Erschienen: 27.07.2022
ISBN: 978-3-10-397190-3
PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über NetGalley vom S. Fischer Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Ganz herzlichen Dank dafür! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Wenn du dich dafür interessierst, wie es bei uns im Jahre 2050 aussehen könnte, wenn wir nichts, nur wenig oder sehr viel gegen die Klimakrise tun, empfehle ich dir das Buch „Deutschland 2050“ von Nick Reimer und Toralf Staud.