Aktualisiert am 18. Januar 2025 von Antje Tomfohrde
Seit vielen Jahren schon esse ich kein Fleisch und keinen Fisch und ersetze immer mehr tierische durch pflanzliche Lebensmittel. Dabei beschäftige ich mich auch immer mehr mit unserer ambivalenten Beziehung zu Tieren. Die einen dürfen bei uns im Bett schlafen und die anderen behandeln wir wie Dinge (und das ist noch nett ausgedrückt). Deshalb landete das Buch „Streicheln oder Schlachten“ von Marcel Sebastian sofort auf meiner Leseliste.
Wovon handelt das Buch?
Der Untertitel beschreibt es in einem Satz: „Warum unser Verhältnis zu Tieren so kompliziert ist – und was das über uns aussagt“. Die einen streicheln wir und die anderen essen wir. Auf diese unterschiedlichen Sichtweisen geht der Soziologe Marcel Sebastian in „Streicheln oder Schlachten“ ein. Mittlerweile wird auf der einen Seite der Ruf immer lauter, dass wir unser Verhältnis zu Tieren komplett überdenken und wir aufhören müssen, Tiere zu essen und sie auszubeuten. Auf der anderen Seite wird beschworen, dass wir das Stück „Lebenskraft brauchen und als Rechtfertigung genannt, um mit der Massentierhaltung fortzufahren, weil es schon immer so war, dass die einen die anderen gefressen haben. Diesem nicht leichten Thema nimmt sich Marcel Sebastian an.
Das Buch ist in die folgenden Kapitel unterteilt:
- Wie wir über Tiere streiten
- Es geht um die Wurst: Dürfen wir Tiere essen?
- Haustiere: die besten Freunde des Menschen?
- Von Turbokühen und Wegwerfhühnern
- Klimakrise, Artensterben, Pandemien
- Kurswechsel: die Suche nach einem neuen Mensch-Tier-Verhältnis
- Jetzt sind Sie dran!
Die einzelnen Kapitel beginnen mit einprägsamen Beispiel, wie zum Beispiel der Geschichte von einer geretteten Entenfamilie in einer Lokalzeitung, an der groß Anteil genommen wird. Demgegenüber werden 25.000 am gleichen Tag in einer Brüterei geschlüpfte Enten gestellt, die irgendwann als „Ente süß-sauer“ in den Mägen von Restaurantbesucher*innen landen. Daraus resultieren Fragen wie Dürfen wir Tiere essen? Falls ja, welche? usw. Dies führt zu Schlussfolgerungen über unser Verhalten und ob wir zustimmen oder nicht. Hierbei geht es natürlich auch um kulturelle Ideen, die definieren, was richtig oder falsch ist.
„Nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze Gesellschaften können von Ambivalenzen geprägt sein – von einer Unentschiedenheit, einem Tauziehen zwischen den Möglichkeiten. „
– Aus „Streicheln oder Schlachten“ von Marcel Sebastian
Der Autor betrachtet das Thema aus vielen verschiedenen Perspektiven, so geht es auch um Geschlechterrollen und moralische Fragen. Es wird beschrieben, wie sich in vielen Staaten der Fleischkonsum vergrößert hat und wie die Ernährung der Zukunft aussehen kann.
„Die alten Traditionen des Essens wurden von einem neuen Ernährungsbewusstsein abgelöst. Was wir essen, ist keine Privatsache, sondern ein Politikum, über das gestritten wird.“
– Aus „Streicheln oder Schlachten“ von Marcel Sebastian
Wie hat sich unsere Beziehung zu Haustieren entwickelt? Vom Jagdbegleiter zum Familienhund und was macht den Unterschied zu den sogenannten Nutztieren aus? In jedem Kapitel werden die wichtigen Fragen zum Unterthema von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet.
Mein Leseeindruck von „Streicheln oder Schlachten“
Marcel Sebastian gibt in „Streicheln oder Schlachten“ einen guten Rundumblick über unsere schwierige Beziehung zu anderen Tierarten (ja, auch wir sind Tiere). In den einzelnen Kapiteln spricht er die wichtigsten Fragestellungen an und hat mit der Kapitelauswahl auch eine Auswahl der wichtigsten Diskussionspunkte oder Streitauslöser ausgewählt. Er leitet die Entwicklungen von Tieren zu Haus- und zu Nutztieren historisch und kulturell her und macht das, ohne dabei zu polarisieren. Oft hält er einen Spiegel vor wie in dem Beispiel mit der geretteten Entenfamilie und den zukünftigen „Peking-Enten“.
Er verwendet eine leicht verständliche, oftmals locker-humorvolle Sprache (zum Beispiel hier: „Natürlich war für Schweine, Rinder und Co. auch im Spätmittelalter das bäuerliche Leben kein Ponyhof.“) und bricht damit wissenschaftliche Forschungsergebnisse auf ein verständliches Niveau herunter.
Auch stellt er Fragen, die zum Nachdenken anregen:
„Wenn Hunde und Schweine sich nicht fundamental unterscheiden, wie lässt sich ihre unterschiedliche Zuordnung in Haus- und Nutztier rechtfertigen? Warum streicheln wir die einen und schlachten die anderen? Die spannende Frage lautet, wie wir als Gesellschaft mit diesem neuen Wissen über Tiere umgehen.“
– Aus „Streicheln oder Schlachten“ von Marcel Sebastian
Auch scheut Marcel Sebastian sich nicht, stark diskutierte Themen anzusprechen wie das Anheizen der Klimakrise durch Massentierhaltung, das Artensterben und die Gefahr weiterer Pandemien durch Zoonosen. Diese Probleme sind wie er es nennt „die Kuh im Raum“ und solange wir nicht darüber reden und dementsprechend handeln, wird dieses Damoklesschwert über uns schweben.
Gesundheitsrisiken durch übermäßigen Genuss tierischer Produkte werden angesprochen und nach all diesen recht harten Tatsachen geht es darum, wie Wege aus dem Dilemma gefunden werden können. Aber auch hier beleuchtet er die Grenzen von Kompromissen und ist nicht einseitig.
Das Buch ist angenehm, weil der Autor weder die Moral- noch die Hasskeule herausholt, sondern sich auf die soziologische Betrachtung konzentriert. Es wird zunächst eine Bestandsaufnahme vom jeweiligen Bereich gemacht und dann kulturell und geschichtlich betrachtet. „Streicheln oder schlachten“ regt zum Nachdenken an und dies einmal natürlich emotional und sehr problembasiert, denn unser Verhältnis zu Tieren hat auch leider zu vielen Problemen geführt, die ohne unser Zutun nicht gelöst werden können wie Klimakrise, Artensterben, die Ausbreitung von Pandemien und die grausame Massentierhaltung. Aber Marcel Sebastian schreibt nicht mit erhobenem Zeigefinger, eher mit erklärendem und zum Nachdenken und Handeln anregender Feder.
Am Ende des Buches gibt er uns als Leser*innen noch Tipps an die Hand bzw. Aufgaben, um zum Beispiel bewusster mit Nahrung umzugehen und insgesamt über unser Verhältnis zu Tieren nachzudenken und an der Veränderung mitzuwirken.
„Unser Mensch-Tier-Verhältnis und gegebenenfalls unser Denken und Handeln zu hinterfragen, ist nur der erste Schritt einer Serie von nötigen Veränderungen. Wenn wir dieses Verhältnis wirklich verändern wollen, können wir nicht bei uns haltmachen, sondern müssen die Gesellschaft verändern, die die Regeln und Gewohnheiten im Umgang mit Tieren definiert. Weil das Mensch-Tier-Verhältnis eben keine individuelle Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit ist, sind wir alle aufgefordert, mitzureden und uns einzumischen.“
– Aus „Streicheln oder Schlachten“ von Marcel Sebastian
Zum Autor:
Dr. Marcel Sebastian ist Experte für die Soziologie der Mensch-Tier-Beziehungen und arbeitet nicht nur an der TU Dortmund, sondern ist auch als freier Autor tätig. In seiner Forschung analysiert er den Zusammenhang von Institutionenwandel, Kulturwandel und Akteurshandeln. Die Soziologie der Mensch-Tier-Beziehung ist sein thematischer Schwerpunkt.
Autor: Marcel Sebastian
Erscheinungsdatum: 28.09.2022
Verlag: Kösel-Verlag
ISBN: 978-3-466-34782-7
PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das Bloggerportal vom Kösel Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich herzlich! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
„Streicheln oder Schlachten“ habe ich im Rahmen einer Recherche für einen Nachhaltigkeitsimpuls zum Veganuary gelesen. In dem Beitrag findest du weitere Buchtipps zu unserem Verhältnis zu Tieren, zur veganen Lebensweise, Kochbuchtipps und zu Podcasts, Blogs und Filmen zum Thema. Schau gerne mal vorbei!