Eine Liebe von Sara Mesa

Auf dem Foto ist das Buch Eine Liebe von Sara Mesa gegen eine grüne Wand gelehnt abgebildet.

Aktualisiert am 4. Januar 2025 von Antje Tomfohrde

übersetzt aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Immer auf der Suche nach einem besonderen Buch, das eine gut erzählte Geschichte über die alltäglichen menschlichen Abgründe verspricht, habe ich „Eine Liebe“ von Sara Mesa gefunden.

Worum geht es in dem Buch?

Nat zieht aufs Land und will alles hinter sich lassen nach einem Bruch in ihrem bisherigen Leben. Sie war nicht wählerisch mit der Wahl ihres neuen Lebensmittelpunkts und zieht in den kleinen Ort La Escapa im spanischen Nirgendwo. Sie zieht in ein kleines Haus, das schon bessere Tage gesehen hat und lässt sich von dem Vermieter einen Hund vermitteln.

Sie beginnt damit, das Haus und den Garten auf Vordermann zu bringen und versucht, das Vertrauen des Hundes zu gewinnen. Im Ort gibt es einen kleinen Laden, in dem sie einkauft, es gibt ein älteres Ehepaar, zu dem sie Kontakt hat, Píter, von allen „der Hippie“ genannt. Direkt neben ihr wohnt eine Familie aus der Stadt, die an den Wochenenden in ihr „Chalito“ genanntes Haus kommen und „den Deutschen“, der Gemüse an die Dorfbewohner verkauft.

Wenn sie nicht am Haus oder im Garten arbeitet, sitzt sie an einer Literaturübersetzung, eine Arbeit, die zu ihrem Neuanfang gehört.

Eines Tages stellt sie fest, dass es in ihr Haus hineinregnet und schafft es nicht, ihren Vermieter davon zu überzeugen, dass er die Reparatur durchführt oder jemanden damit beauftragt. Da erhält sie ein ungewöhnliches Angebot, das den Verlauf des weiteren Romans bestimmen und auf Nats Leben große Auswirkungen haben wird.

Wie hat mir „Eine Liebe“ gefallen?

„Als es dunkel wird, spürt sie, wie die Last auf sie stürzt, so schwer, dass sie sich setzen muss, um Luft zu holen.“

– Aus „Eine Liebe“ von Sara Mesa

Mit diesem Satz beginnt Sara Mesa ihren Roman und beginnt gleich damit, der Geschichte eine Richtung zu geben. Es ist Nats erste Nacht in ihrem neuen Zuhause, die einfach nur unbequem und voller schwerer Gedanken ist. War es richtig, in diesen Ort in dieses Haus zu ziehen? Was wäre wenn? Nats Gedankenkarussell beginnt hier auf der ersten Seite und wird sich das Buch über drehen.

„Nicht nachdenken ist besser, aber die Gedanken kommen wie von selbst, schweben durch sie hindurch, verbinden sich. Sie versucht, sie so schnell wieder loszuwerden, wie sie in sie eindringen, trotzdem sammeln sie sich in ihr an, ein Gedanke über dem anderen.“

– Aus „Eine Liebe“ von Sara Mesa

Nat versucht am nächsten Tag mit dem Vermieter zu sprechen, da das Haus in einem desolateren Zustand ist als bei der Besichtigung, schafft es aber nicht, sich gegen ihn durchzusetzen und dies wird sich wie ein roter Faden durchs Buch ziehen. Der Hund, den er ihr andreht, ist das Gegenteil von dem, was sie sich vorgestellt hat, aber sie sagt nichts, sondern denkt nur darüber nach. Sie nennt den Hund Sieso, was Nichtsnutz, Spielverderber, Lahmarsch bedeutet. Doch sie versucht ihn, an sich zu gewöhnen und kümmert sich um ihn, auch wenn die anderen dies argwöhnisch betrachten.

Das ist etwas, was sofort auffällt. La Escapa ist ein so kleiner Ort, dass alle alles wissen, beobachten und nichts geheim bleibt. Gleichzeitig ist es auch ein wenig unheimlich wie Sara Mesa die Menschen beschreibt bzw. wie sie Nat die Menschen beschreiben lässt. Nat denkt in einer Tour über alles und jeden nach und interpretiert in alles etwas hinein, bezieht es auf sich.

Es ist kein leichter Start in diesem Ort. Der Garten ist vertrocknet, das Haus eine gammelige Bruchbude und bis auf Píter sind nur noch die Roma, die von den Dorfbewohnern argwöhnisch beäugt werden, nett zu ihr. Die Übersetzung will nicht recht vorankommen und es gibt immer wieder neue Probleme, aber auch minimale Fortschritte mit Sieso, auch wenn ihm am Ende eine tragische Rolle zufallen wird.

Was auffällt, ist die Tatsache, dass Nat nicht aufmuckt, sondern sich klein halten lässt und versucht, anders aus Schwierigkeiten heraus zu manövrieren. So pocht sie nicht darauf, dass der Vermieter ihr das Dach repariert, sondern lässt sich auf einen Handel ein, der ihr Leben letztendlich vollends aus dem Ruder laufen lässt. Und das zu beschreiben, gelingt der Autorin vorzüglich. Diese Überwindung, die es Nat kostet, um etwas zu tun, was ihr eine Dachreparatur einbringt und was daraus entsteht.

Diesen Übergang von einem reinen Geschäft zu einer exzessiven Beziehung, die keine wirkliche Beziehung ist, wird atmosphärisch so intensiv beschrieben, dass ich noch immer nicht ganz aus der Geschichte raus bin oder besser aus Nats Kopf.

„Was gerade einmal zwei Stunden danach passiert, wird Nat sich anschließend immer wieder sorgfältig ins Gedächtnis rufen, in allen Einzelheiten, um ja nichts zu vergessen, um zu verhindern, dass die Erinnerung die Sache verdreht, verfälscht, bemäntelt.“

– Aus „Eine Liebe“ von Sara Mesa

Nat denkt und denkt und interpretiert in alles etwas hinein und schottet sich gleichzeitig von der Außenwelt ab und lebt nur noch in einem kleinen begrenzten Radius. Alles dreht sich um diese eine Person und was sie mit ihr erlebt. Jede Bewegung, jedes Wort (und das sind wahrlich nicht viele) werden von ihr analysiert und interpretiert. Natürlich bleibt es im Dorf nicht unbemerkt, auch wenn Nat es denkt. Und sie lässt sich verunsichern, etwas das typisch ist für sie. Sie fühlt sich abgelehnt, hat Verlustängste und kann ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen.

Ich müsste spoilern, wollte ich das genauer beschreiben, und das möchte ich natürlich nicht. „Eine Liebe“ ist ein Buch, das sehr intensiv ist. Sara Mesa gewährt einem viel Einblick in Nats Kopf und in ihre inneren Qualen. Ihr Neuanfang, der nicht wirklich gelingt, ihr Gefühl, nicht wirklich Teil dieser Gemeinschaft zu sein und die Gesetze dieser Gemeinschaft, die nicht einfach sind, wenn man so strukturiert ist wie Nat. Sie hat nie gelernt, richtig für sich einzustehen und wirklich „aufzumucken“ und lässt sich leicht verunsichern.

Die Schmerzen, die Worte und auch das nicht Gesagte verursachen können, fallen bei Nat, der Meisterin des Gedankenkarussells, auf fruchtbaren Boden, ein Gegensatz zur kargen Landschaft. Am Ende drehen sich nicht nur die Gedanken immer schneller, sondern auch die Handlung verändert sich. Es passiert alles Schlag auf Schlag, als Leser*in ist man geradezu atemlos ob der Schnelligkeit.

„Unglaublich, sagt sie sich, innerlich stellt sich die Welt auf den Kopf, und man wird vollständig durchgerüttelt, und all das innerhalb eines Zeitraums, in dem man noch nicht einmal 125 Milliliter Zahnpasta verbraucht.“

– Aus „Eine Liebe“ von Sara Mesa

Sara Mesa ist es gelungen, nicht nur eine Geschichte über eine Außenseiterin zu schreiben, sondern hat es geschafft, die kleinen Verwebungen, die ungeschriebenen Gesetze einer kleinen Dorfgemeinschaft mit ihren menschlichen Abgründen in eine ungewöhnliche Erzählung zu packen.

In Spanien wurde das Buch 2021 mit dem Preis des unabhängigen Buchhandels ausgezeichnet.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Eine Liebe
Autorin: Sara Mesa
Übersetzer: Peter Kultzen
Erscheinungsdatum: 25. August 2022
Verlag: Wagenbach Verlag
ISBN: 978-3-8031-2864-5

PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich kaufe Bücher am liebsten in kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen. Bei den meisten Buchhandlungen ist es auch möglich, online zu bestellen, sie sind also auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Shops. Online bestellen und in der Buchhandlung abholen oder direkt nach Hause liefern lassen, auch eBooks können direkt bei der Buchhandlung deiner Wahl online gekauft werden. Dieses Buch habe ich in der Buchhandlung Kohlhaas & Co. im Literaturhaus Berlin gekauft. #SupportYourLocalBookshop

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Von Sara Mesa gibt es noch ein weiteres ins Deutsche übersetzte Buch beim Wagenbach Verlag: „Quasi“.

Wenn dir „Eine Liebe“ gefallen hat, könnte „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Daniela Krien auch ein Buch für dich sein. Auch dies ist eine sehr intensive Erzählung, die in der Wendezeit spielt.

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