Rückwärtswalzer von Vea Kaiser

Das Buchcover von "Rückwärtswalzer" von Vea Kaiser ist auf dem Bild zu sehen.

Aktualisiert am 14. April 2024 von Antje Tomfohrde

Ein Roadtrip der besonderen Art

„Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ist der genaue Titel des Buchs von Vea Kaiser und lässt schon ein wenig erahnen, worum es im Buch gehen könnte. Manen sind römische Totengeister, die auch nach ihrem Tod auf der Erde bleiben und auf eine eigene Art mit ihren Hinterbliebenen kommunizieren, sei es um ihnen zu helfen oder um sie zu maßregeln.

Nachdem ich Vea Kaiser für mich entdeckt hatte bzw. ihr Buch „Makarionissi oder Die Insel der Seligen“, das schon Staub im Regal ansetzte, endlich gelesen hatte, kam nach „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ganz selbstverständlich auf meine nie endenden Leseliste und in mein Bücherregal. Glücklicherweise wurde es in der Bücherbar, dem von Mareike Lüken ins Leben gerufenen virtuellen Buchtreff, als Buch des Monats ausgewählt und musste nicht ganz solange wie „Makarionissi“ aufs Gelesen-Werden warten.

Um was geht es in „Rückwärtswalzer“?

Die drei Schwestern Mirl, Hedi und Wetti leben in Wien und haben einen Neffen, Lorenz, der sich nach einem recht positiven Start als Schauspieler momentan in einer Lebenskrise befindet. Seine Freundin hat ihn verlassen, sein Geld auch und wider sein Erwarten wird die Rolle in einer Serie, die er fest eingeplant hatte, gestrichen. Durch die dadurch bedingte akute Geldnot entschließt er sich schweren Herzens dazu, sein schickes Appartement an ein italienischen Ehepaar unterzuvermieten und zu seiner Tante bzw. zu seinen Tanten und Tante Hedis Lebensgefährten Willi zu ziehen, denn obwohl die Tanten alle in eigenen Wohnungen leben, hängen sie gleichzeitig auch ständig bei Tante Hedi zusammen.

Lorenz ist der Sohn von Sepp, dem älteren Bruder der drei Schwestern und hat sich schon seit frühester Kindheit immer sehr wohl bei seinen Tanten gefühlt, so dass sie jetzt in dieser Situation sein sicherer Hafen sind. Bis zu diesem Zeitpunkt verlief das Leben von Lorenz recht sorgenfrei und er wurde von seinem Vater Sepp eventuell ein klein wenig zu sehr auf ein Podest gehoben, um jetzt verlustfrei mit dieser Lebenskrise umgehen zu können.

Die Wärme einer belebten Wohnung voller Menschen und die Gerüche traditioneller Prischinger-Küche, Knoblauch, Schweineschmalz, Petersilie und Kümmel, schlugen Lorenz entgegen. Es roch nach Kindheit. Nach Sicherheit, nach Es-wird-alles-wieder-gut-nimm-dir-noch-ein-großes-Stück-Braten.<span class="su-quote-cite">Vea Kaiser 'Rückwärtswalzer'</span>

Und dann stirbt auch noch Onkel Willi einfach so und lässt Lorenz mit den drei Tanten und ohne Geld für eine anständige Beerdigung zurück. Onkel Willi stammt aus Montenegro und hatte schon immer den Wunsch, nach seinem Tode dorthin zurückzukehren. Vorsichtshalber hatte er auch auf einem Konto eine stolze Summe für die Beerdigungskosten angespart. Dieser vorausschauende Plan hätte funktionieren können, wenn dieses Geld nicht gerade zwischenangelegt worden wäre. So muss auf die Schnelle ein Plan B entwickelt werden. Onkel Willi wird tiefgefroren, umso nach Montenegro zu seiner letzten Ruhestätte gebracht zu werden.

Lorenz wird von den drei Schwestern als Fahrer auserkoren und so beginnt die Reise von Wien nach Montenegro mit dem tiefgekühlten Onkel Willi auf dem Beifahrersitz und den drei Tanten auf der Rückbank. Dass diese Reise nicht ohne kleinere Überraschungen verläuft, kann ich an dieser Stelle schon einmal verraten.

Mein Eindruck

Die Reise ist natürlich nicht nur eine Reise von Wien nach Montenegro, sondern ganz klar auch eine innere Reise.

Lorenz, der etwas verwöhnte Anfang-Dreißiger, wird vermutlich zum ersten Mal so richtig mit dem Ernst des Lebens konfrontiert und muss nun irgendwie lernen, für mehr als nur für die nächste Online-Bestellung Verantwortung zu übernehmen. Es wird klar, warum die drei Tanten eine so enge Beziehung zueinander haben und warum Onkel Willi so wurde, wie er war. Das Geheimnis bzw. die Schuld, die die drei Schwestern seit so vielen Jahren mit sich herumtragen, wird durch die verschiedenen Erzählstränge deutlich und es erklärt so vieles, was am Anfang noch im Dunklen lag.

Was auf den ersten Blick wie ein unterhaltsames Roadmovie wirkt, geht in Wahrheit viel tiefer.

Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt.<span class="su-quote-cite">Vea Kaiser 'Rückwärtswalzer'</span>

Durch Rückblicke in die Vergangenheit der einzelnen Personen versteht man, warum sich die einzelnen Charaktere und die Geschichten genauso entwickeln mussten und warum es so wichtig ist, dass Onkel Willi auch wirklich in Montenegro begraben wird. Am Ende finden die einzelnen Handlungsstränge zu einem großen Ganzen zusammen.

Es ist eine ganz feine Art zu schreiben und zu beschreiben, die dieses Buch so lesenswert machen. Vea Kaiser besitzt einen ganz eigenen Wortwitz und Humor, so dass diese Geschichte an keiner Stelle ins Alberne abdriftet, sondern humorvoll ernsthaft bleibt. Neben all den wunderschönen Sätzen bleiben allerdings auch die unglaublichen Mengen an Essen, die bei der Familie Prischinger aufgetischt werden, in Erinnerung. Das Essen zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und macht es dadurch noch liebenswerter.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Rückwärtswalzer oder die Manen der Familie Prischinger
Autor: Vea Kaiser
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-462-05142-1

PS: Dieses Buch habe ich selbst gekauft und die Werbung bzw. Leseempfehlung, die ich ausspreche, ist unbezahlte Werbung. Statt bei einem großen Online-Händler zu kaufen, kaufe ich gerne in unabhängigen Buchhandlungen. Bei mir im Ort ist das die Hohenlimburger Buchhandlung, auch dort könnte ich online bestellen, mag aber das Gespräch im Laden noch ein bisschen lieber als eine bequeme Online-Lieferung.

Wenn dir dieses Buch gefällt, könnte auch „Chuzpe“ von Lily Brett etwas für dich sein.

4 Kommentare

  1. Rosemarie

    Endlich habe ich es auch gelesen – und wie! In einem Rutsch. Soviel Heimat, soviel Wahrheit und am Schluss sogar ein paar Tränchen!

    „Das Leben geht weiter. Und auch diejenigen, die nicht mehr waren, blieben dabei. Solange man auf sie hörte“….Vea Kaiser

    • Das freut mich, dass es dir so gut gefallen hat, Rosemarie! Falls du noch mehr Vea Kaiser lesen möchtest, „Makarionissi“ von ihr ist auch toll…
      Liebe Grüße
      Antje

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert