Aktualisiert am 4. Juli 2022 von Antje Tomfohrde
Nach dem Lesen des Buchs „Chuzpe“ von Lily Brett hat man Lust, nach New York zu reisen und bei Zofia, Walentyna und Edek Klopse in allen erdenklichen Varianten zu essen. Nach Möglichkeit in der Küche, in der Zofia unter ihrer Kochschürze nur einen BH und einen Rock trägt und mit unerschütterlicher Ruhe Klopse mit Fleisch, Fisch und Gemüse zubereitet und dem 87jährigen Edek zwischendurch verliebte Küsse zuwirft.
Doch von Anfang an. Dieses Buch wurde in der #BücherBar, einem virtuellen Buchtreff, den die wunderbare Mareike Lüken ins Leben gerufen hat, als Buch des Monats Oktober gewählt. Mit diesem Buch (und noch zwei weiteren, denn diese virtuellen Buchtreffen enden meist mit mehren Buchempfehlungen und die werden dann bekanntlich auf den berühmten Bücherstapeln gehortet) habe ich dann die Buchhandlung verlassen und zu lesen begonnen. Ich kannte Lily Brett bis dato noch nicht und konnte ganz unvoreingenommen und ohne große Erwartungen an das Buch herangehen.
Die Geschichte spielt in New York und handelt von der Beziehung zwischen Ruth und ihrem Vater Edek. Edek stammt aus Polen, hat Ausschwitz überlebt und siedelt mit weit über 80 von Melbourne nach New York, um dort seinen Lebensabend in der Nähe seiner Tochter zu verbringen. Allerdings findet er die Vorschläge seiner Tochter Ruth, wie er diesen gestalten könnte, eher langweilig und unterstützt sie lieber in ihrer Korrespondenzagentur „Rothwax Correspondence“. Eine der Aufgaben, die er an sich reißt, ist das Bestellwesen und in bester Loriot Manier bestellt er von allem viel zu viel. Nur ist es hier anstelle von Senf, unter anderem Kopierpapier. Aber nicht nur das Bestellwesen wirbelt er durcheinander, sondern sorgt auch sonst für viel Aufregung im Leben seiner durchstrukturierten Tochter Ruth.
Es ist also eine nicht ganz einfache Vater-Tochter-Beziehung. Auf der einen Seite ein unternehmungslustiger und lebensfroher Vater und auf der anderen Seite die kontrollierte, sich ständig Sorgen machende Ruth, der es wahnsinnig schwerfällt, aus dieser Rolle herauszufinden.
Vor nicht allzu langer Zeit hatten Ruth und Edek eine Reise nach Polen gemacht, um gemeinsam die Stätten von Edeks Vergangenheit zu besuchen. Während dieser Reise haben sie Zofia und Walentyna, zwei polnische Witwen aus Zobbot, kennengelernt. Edek verstand sich von Anfang an gut mit den beiden Damen, mit Zofia sogar mehr als gut. Natürlich hatte Ruth das nicht gefallen und so war sie froh, dass es nur eine Urlaubsliebelei für ihren Vater war. Dies sollte sich allerdings als Trugschluss herausstellen, denn die beiden Damen kreuzten irgendwann für Ruth überraschend in New York auf.
Eines Tages war es dann soweit. Edek, Zofia und Walentyna stellten Ruth den Plan vor, wie sie sich ihr weiteres Leben in New York vorstellten. Sie wollten ein Restaurant eröffnen, aber nicht irgendein Restaurant. Es sollte ein Restaurant werden, in dem es nur die geradezu magischen, von Zofia zubereiteten Klopse gab. Diese Idee war gleich ein weiterer Grund für Ruth, sich Sorgen zu machen. Sie grübelte nächtelang darüber, ob ihr Vater sich nicht mit 87 Jahren zu viel aufbürdete, ob es nicht blauäugig sei, in einer abgelegenen Straße, nur mit kleinem Budget, ohne große Marketingkampagne und vor allem ohne jegliche Ahnung vom Führen eines Gastronomiebetriebs zu haben, ein Restaurant zu eröffnen, dessen Geschäftsidee auf Klopsen basiert. Edek, der seine Tochter gut kennt, lässt sich nicht beirren, ist aber immer darum bemüht, sie mit einzubeziehen.
Es kommt, wie es kommen muss und damit verrate ich nicht zu viel, denn das Buch ist einfach so angelegt – es wird gut. Ruth ist zwar immer noch nicht locker und entspannt, aber die große Last der Sorgen um ihren Vater fällt von ihr ab und das Dreiergespann der rüstigen Rentner zeigt Ruth, was der Buchtitel „You gotta have balls“ im Englischen schon verspricht.
Eine leicht erzählte Geschichte einer komplizierten Vater-Tochter-Beziehung, einer leicht neurotischen und manchmal recht anstrengenden Tochter und einem sehr umtriebigen Vater, die mit einem ganz besonderen Witz begeistert. Ich denke, das wird nicht mein letztes Buch von Lily Brett sein.
Autor: Lily Brett
Übersetzerin: Melanie Walz
Verlag: Suhrkamp Verlag AG
Erschienen: 2007
ISBN: 978-3-518-45922-5
PS: Dieses Buch habe ich selbst gekauft und die Werbung bzw. Leseempfehlung, die ich ausspreche, ist unbezahlte Werbung. Gekauft habe ich das Buch in der Hohenlimburger Buchhandlung bei mir im Ort und außer einem freundlichen Lächeln der Buchhändlerin bekomme ich für die Verlinkung nichts. #SupportYourLocalBookstore