Aktualisiert am 4. Februar 2022 von Antje Tomfohrde
Diese dunklen Phasen im Leben, die nach einer schweren Zeit, mitten in einer Krise, einem Verlust oder auch nach einem schönen Ereignis wie der Geburt eines Kindes kommen können, sind Thema des Buchs „Überwintern Wenn das Leben innehält“. Aber nicht nur die Phasen selbst, sondern auch wie der Umgang leichter damit werden kann. Es ist ein persönlicher Bericht von Katherine May.
Worum geht es in dem Buch von Katherine May?
Das Buch beginnt mit dem vierzigsten Geburtstag der Autorin, ein Grund zur Freude und zum Feiern, was sie auch ausgiebig vorhatte. Und dann kam es anders.
Ihr Mann (im Buch „H“ genannt) hatte plötzlich Bauchschmerzen, was sich erst einmal harmlos anhört, es aber nicht war und das Leben der Autorin auf den Kopf stellte und etwas in ihr auslöste. Die Krankheit von H war nicht das einzige schwerwiegende Ereignis in ihrem Leben zu diesem Zeitpunkt. Sie hatte ihren Job als Dozentin gekündigt, nach sechs Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht und ihr Sohn war nach den Sommerferien in die Schule gekommen, was auch noch einmal Veränderung bedeutet.
All dies machte ihr klar, dass sie in eine der Phasen in ihrem Leben gelandet war, die sie als Winter bezeichnet. Ihr dass sie Körper machte ihr klar, dass es so nicht weiterging und sie wurde krank geschrieben.
Und da es nicht ihr erster Winter war, wusste sie, was auf sie zukommt. Dieses Mal wollte sie aber etwas anders machen und anders über den Winter kommen. Sie hatte schon sehr früh eine Depression durchlebt und sich Gedanken dazu gemacht, wieso wir diese Phasen so stigmatisieren.
So bereitet sie sich dieses Mal anders auf diese Kältephase in ihrem Leben vor, wie ein Eichhörnchen, dass Nüsse sammelt, sammelt sie Ideen, um den Winter besser zu überstehen. Sie wird krank geschrieben und beschäftigt sich zunächst einmal mit Aufgaben wie backen und reflektiert darüber, warum es soweit gekommen ist. Dann reist sie nach Island, es sollte ursprünglich ihre Geburtstagsreise werden. Insgesamt probiert sie im Laufe der Zeit viele verschiedene Dinge aus, die typisch für den Winter sind wie z. B. Eisbaden, Sauna, Nordlichter zu beobachten oder das Lichterfest Santa Lucia zu feiern. Auch so auf den ersten Blick profane Tätigkeiten wie Singen oder Handarbeiten nimmt sie auf, genauso wie Gedanken zur Religion und der Wirkung des Betens.
Als Leserinnen und Leser folgen wir ihr von den Vorboten ihres persönlichen Winters bis zum Frühlingsbeginn und begleiten sie auf diesem Weg, der nie ganz endet.
Wie hat es mir gefallen?
Viel hatte ich schon über dieses Buch gelesen und es lag schon auf meinem Bücherstapel, als es zum Buch des Monats Januar in der Bücherbar gewählt wurde. Das Motto war Aufbruch, wie passend also, zu diesem Buch zu greifen. Ich habe noch am Abend nach der Bücherbar mit dem Buch gewonnen und fühlte mich gleich zuhause.
Katherine May hat mit „Überwintern wenn das Leben innehält“ wirklich ein literarisches Sachbuch geschrieben, sie lässt die Grenzen zwischen den Genres zerfließen und schreibt über ein sehr persönliches Thema, was gleichzeitig auch so viele Menschen betrifft. Sie lässt uns an ihrem Innenleben, an ihren Reflektionen, warum was passiert, teilhaben und beschreibt es gleichzeitig auch einer Außensicht. Es wirkt manchmal sehr distanziert, als ob sie sich selbst von außen beschreibt und analysiert. Sie erklärt vieles und geht auf bestimmte Dinge wie das Eisbaden oder die nordischen Winterbräuche sehr genau ein, was das Buch teilweise zu einem Sachbuch macht.
Interessant finde ich den Part, in dem sie darauf eingeht, dass die Menschen zu früheren Zeiten im Winter mit Einbruch der Dunkelheit schlafen gegangen sind, aber es durchaus üblich war gegen drei Uhr ein, zwei oder auch drei Stunden wach zu sein, um danach wieder zu schlafen. Dies fand ich persönlich so beruhigend, denn oft werde ich genau um diese Zeit wach und mein Karussell im Kopf beginnt (ihr wisst schon, dieses Denken, dass man zu wenig Schlaf bekommt, wenn man jetzt wach liegt und am morgen nicht fit genug ist). Seitdem ich diesen Teil gelesen habe, denke ich nachts daran und weiß, dass es gut so ist und ich vielleicht am nächsten Morgen nicht fit bin, aber dass ich mir nicht so viele Sorgen deshalb machen sollte und nutze die Zeit fürs Lesen oder stehe wirklich auf und bin dann am nächsten Abend einfach so richtig müde und schlafe wie ein Stein.
Die Autorin gibt einem mit ihren Gedanken über ihre dunklen Phasen gute Anreize, selbst anders mit den Phasen, in denen es nicht gut läuft, anders umzugehen und anders darüber nachzudenken. Es ist in Ordnung, sich nicht andauernd glücklich zu fühlen, wir haben nur verlernt, es für völlig normal zu akzeptieren, dass es so ist und zum Leben dazu gehört. Dies ist sehr optimistisch, denn es nimmt den Zwang, immer diese glückliche Rolle zu erfüllen und ermöglicht es, die dunklen Tage mit den dunklen Stimmungen anzunehmen.
Nicht alles gefiel mir, was sie ausprobiert hat, aber das zeigt auch, dass jeder und jedem etwas anderes hilft, über den inneren Winter zu kommen. Manche igeln sich ein, manche brauchen das tägliche Bad im Eiswasser. Das Buch ist eine Ansammlung von Anregungen und vieler Erklärungen zu bestimmten Themen. Mir hat es gut getan, es zu lesen und es ist ein Buch, dass ich gerne zur Hand nehme und einfach noch einmal ein bestimmtes Kapitel durchlese, um mich damit auseinanderzusetzen. In diesem Buch sind so viele gute Sätze, die sich dazu eignen, immer wieder darüber nachzudenken.
Ich schätze es sehr, dass Katherine May so viele persönliche Gedanken und Erfahrungen teilt und damit viele Anregungen weitergibt. Winter kommen immer wieder und einen ganz wichtigen Gedanken nehme ich noch mit, nämlich den, dass unsere Bedürfnisse in solchen Situationen gerechtfertigt sind. Unser Leben verläuft nicht linear, es läuft zyklisch, in Phasen und es ist wichtig, diese anzunehmen, denn gleichzeitig können wir in diesen Zeiten etwas lernen und diese Erfahrungen helfen uns im nächsten Winter beim Überwintern.
Autorin: Katherine May
Übersetzerin: Marieke Heimburger
Verlag: Insel Verlag
Erschienen: 2021 (deutsche Erstauflage)
ISBN: 978-3-458-17958-0
PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich habe es in meiner Stammbuchhandlung, der Hohenlimburger Buchhandlung, gekauft, auf die ich hier auch verlinke. Dort könnte ihr, wie mittlerweile bei den meisten Buchhandlungen, auch online bestellen und müsst nicht auf einen der großen Online-Händler zurückgreifen und bekommt, wenn ihr das möchtet, auch telefonische Beratung. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Das Buch „Laufen“ von Isabel Bogdan beschreibt, wie sich eine Frau nach einem schweren Verlust wieder ins Leben läuft. Vielleicht ist das ja auch etwas für dich?
Das klingt sehr interessant – aber auch schrecklich privilegiert. Verstehe ich richtig, dass sich die Autorin finanziell nicht sorgen muss und in aller Ruhe ihre Aktivitäten ausprobieren kann, weil sie eh krankgeschrieben o. anderweitig finanziell abgesichert ist? Das „Überwintern“ fällt sicherlich leichter, wenn man sich ganz auf sich konzentrieren kann und nicht die Erwerbstätigkeit für die nächste Miete oder das Anstehen beim Amt dazwischen kommen. Mich machen die privilegierten Perspektiven solcher Lebenshilfe-Bücher häufig etwas sprachlos…
Den zweiten Tipp „Laufen“ von Isabel Bogdan mochte ich übrigens sehr. Ein tolles Buch, das viel Kluges enthält. Danke für den Reminder.
Hallo Julia,
in der Tat hatte sie das Glück, dass sie zum einen erst einmal krankgeschrieben war und zum anderen nach ihrem Kündigungstermin noch eine Weile von ihren Ersparnissen bzw. dem Einkommen des Ehemanns leben konnte. Allerdings schreibt sie auch zum Ende des Buches hin, dass sie nicht weiß, wie es weitergehen wird, da sie das so nicht weiter finanzieren können. Auch kommt sie nicht unbedingt aus privilegierten Verhältnissen. Dieses Buch ist für mich nicht deshalb so gut, weil ich unbedingt nach Island reisen möchte, um dort in heißen Quellen zu baden, wenn es mir schlecht geht (was natürlich schon eine nette Vorstellung ist ;-)), sondern weil sie für sich sorgt bzw. vorsorgt, um diese schlimme Phase besser als die vorherige zu überstehen. Eisbaden geht auch hier oder sich abends hinzusetzen und zu stricken. Dies ist z. B. auch etwas, was mir gut gefallen hat, dass sie auf diese beruhigende Eigenschaft des Arbeitens mit den Händen wie zu stricken, zu häkeln oder zu nähen, hingewiesen hat. Ich verstehe allerdings auch, was du meinst, nicht jeder hat diese Möglichkeiten, aber das Buch, ihr Erfahrungsbericht, gibt vielen Denkanstöße für dunkle Phasen, ohne gleich Polarlichter anschauen zu müssen. Das Besondere sind viele ihrer Gedanken zum Winter und zur Akzeptanz der Tatsache, dass wir nicht immer funktionieren müssen. Vielleicht hast du ja Lust, bei der Buchbesprechung in der Bücherbar am 2. Februar dabei zu sein?
Schön, dass dir „Laufen“ auch so gut gefallen hat. Es wird übrigens verfilmt. Da bin ich schon ganz neugierig, wie die Verfilmung sein wird.
Liebe Grüße
Antje