Tanz zwischen zwei Welten von Mariam T. Azimi

Buchcover von Tanz zwischen zwei Welten

Aktualisiert am 3. Juli 2022 von Antje Tomfohrde

Wo gehöre ich hin? Wo ist meine Heimat? Diese Fragen bewegen die 40jährige Wana nach einem schweren Unfall in „Tanz zwischen zwei Welten“. Sie muss nach Jahren des selbstständigen Lebens in Berlin wieder bei ihrer afghanischen Familie im Ruhrgebiet einziehen und ist auf ihre Hilfe angewiesen, bis sie sich von den Folgen des Unfalls erholt hat.

Wovon handelt „Tanz zwischen zwei Welten“?

Wana, die 40jährige Protagonistin der Geschichte, ist nach einem Unfall auf ihre im Ruhrgebiete lebende afghanische Familie angewiesen. Sie braucht Hilfe und jemanden, der sich um ihren Sohn Leo kümmert, solange sie noch nicht wieder allein dazu in der Lage ist.

Für Wana ist dies nicht leicht, denn sie hat sich von ihren familiären Wurzeln gelöst und lebt schon lange in Berlin, ein ganz anderes Leben als das ihrer Familie. So kommt vieles wieder hoch und sie setzt sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, ihrem jetzigen Leben und stellt einfach alles auf den Prüfstand.

Die vielen Ereignisse der letzten Wochen hielten sie beschäftigt, gefangen in ihrem Kopf. Nichts konnte sie wegschieben, nichts löste sich auf, nicht die Vergangenheit, die sie immer wieder einholte, nicht die Trauer um Boba, nicht die Frage nach dem Jetzt und Hier und wohin und wie weiter.<span class="su-quote-cite">Tanz zwischen zwei Welten, Mariam T. Azimi</span>

Während ihres körperlichen Heilungsprozesses setzt sie sich – bedingt durch den täglichen Umgang – auch mit ihrer Familie, der Flucht aus Kabul, als sie noch ein kleines Mädchen war, und ihrer Beziehung zu ihrer Familie auseinander. Es kommt vieles zum Vorschein, was lange verborgen war und sie lernt viel über sich und über ihre Familie und besonders über ihre Mutter, zu der sie seitdem sie 15 war, ein schwieriges Verhältnis hatte.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Familie, Herkunft, Heimat – all das prägt uns und ist wichtig für uns. Im besonderen Maße ist dies wichtig, wenn zwei so unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen. Die Frage des Buches ist:

Wohin willst du gehören?<span class="su-quote-cite">Tanz zwischen zwei Welten, Mariam T. Azimi</span>

Um diese Frage dreht sich alles in diesem Buch und Mariam T. Azimi hat den Zwiespalt in dem sich ihre Hauptfigur Wana befindet, hervorragend dargestellt. Es gibt Rückblicke auf die sorglose Kindheit in Kabul und dann der harte Schnitt, als die Familie in Deutschland ankommt und die schwierigen Situationen, die aus Kindersicht beschrieben werden und vielleicht deshalb so genau das Gefühl wiedergeben, das die kleine Wana in den Momenten hatte.

Es beschreibt das Leben in der Flüchtlingsunterkunft und die Gefahren, der sie dort ausgesetzt war. Diese Gefahren werden viel zu selten thematisiert und es ist gut, dass die Autorin dies aus der Sicht der kleinen Wana beschreibt, auch bzw. weil es so bedrückend ist. Es bleibt haften und zeigt noch einmal, wie wichtig es ist, dass Menschen, die auf der Flucht bei uns landen, so schnell wie möglich integriert werden sollten und nicht in Heimen und Lagern leben sollten.

Dann kommt die Pubertät, in der sie aus ihrer bisherigen Welt ausbricht und die durch ein für jede Frau schweres Ereignis einen großen Bruch mit ihrer Mutter, ihrer Familie und mit ihrem bisherigen Leben darstellt und dazu führt, dass Wana als Erwachsene dem Leben im Ruhrgebiet den Rücken kehrt.

Mit dem Unfall beginnt Wanas Prozess, zu sich zu finden und die Frage, wohin sie gehören will, zu beantworten. Der Unfall ist eine Zäsur in ihrem Leben, ein Punkt der Abrechnung, der Bestandsaufnahme. Was ist bisher geschehen und wie soll es weitergehen? Sie trifft ihre beste Freundin aus Jugendtagen wieder und diese gibt ihr den besten aller Ratschläge, den ich jetzt nicht verraten werde, aber an diesem Punkt merkt man, dass sich etwas in Wana in Bewegung setzt.

Der Unfall und alles, was er in Wana aufrührte, war so roh, so existenziell, dass daneben alles andere lächerlich banal erschien.<span class="su-quote-cite">Tanz zwischen zwei Welten, Mariam T. Azimi</span>

Die Autorin hat diese Zweifel, dieses Hin und Her, die Missverständnisse, die Beziehung zu den Elternteilen, zur Schwester und zur afghanischen Community so gut dargestellt und auch die Sorgen der ganz jungen Wana, des Teenagers und der erwachsenen Frau so intensiv beschrieben, dass man die innere Zerrissenheit förmlich spüren kann. Sie hat eine ganz klare, aber tiefe Sprache, um dies zu beschreiben und um die Gefühle ihrer Hauptperson fühlbar zu machen. Besonders intensiv sind die Momente, in denen es um Wanas Beziehung zu ihrer Mutter geht.

Es gibt auch eine Sicht auf Dinge, die für die Menschen, die hier als Flüchtlinge ankommen, Alltag sind und die sich die meisten von uns vermutlich gar nicht vorstellen können. Die Situation des kleinen Mädchens in der Flüchtlingsunterkunft, das sich fürchtet auf die Toilette zu gehen oder das Gefühl, immer anders zu sein, das Gefühl einer unsichtbaren Linie, die da ist, egal, wie sehr man sich anstrengt.

Das Buch hat mich sehr bewegt und mitgenommen in Wanas Gefühlswelt, so dass ich am Ende richtig traurig war, dass die Geschichte vorbei war. Als Leserin habe ich den Denk- und Heilungsprozess direkt miterleben können und es hat mich in die Geschichte hineingezogen. Die einzelnen Personen waren facettenreich beschrieben, es gab kein Schwarz und kein Weiß, sondern viele Zwischentöne.

Es zeigt, wie schwer es ist, von jemandem, der sich zwischen zwei Stühlen fühlt, zu jemandem zu werden, der zwischen zwei Welten tanzen kann und ein Zuhause zu finden.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Tanz zwischen zwei Welten
Autorin: Mariam T. Azimi
Verlag: List (Ullstein Buchverlage GmbH)
Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-47136-0095

Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar, welches mir von der Ullstein Buchverlage GmbH über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank dafür!

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