Solange wir schwimmen von Julie Otsuka

Auf dem Bild ist das Buchcover von "Solange wir schwimmen" von Julie Otsuka auf einer hellen, holzähnlichen Oberfläche. Das Bild ist das Headerbild für den Beitrag, der eine Rezension des Buchs enthält.

Aktualisiert am 14. Oktober 2023 von Antje Tomfohrde

übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Katja Scholtz

Worum geht es?

Das Schwimmbad unter der Erde – regelmäßig trifft sich dort eine eingeschworene Gemeinschaft, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Das Schwimmen eint sie, es ist ihr Anker, ihre Konstante im Leben, auch für Alice, die ganz langsam der Demenz anheim fällt.

Und auch wenn sie sich vielleicht nicht an die Nummer ihres Schließfachs erinnert oder daran, wo sie ihr Handtuch hingelegt hat – sobald sie ins Wasser gleitet, weiß sie, was zu tun ist. Ihre Armzüge sind lang und fließend, ihr Beinschlag ist kräftig, ihr Geist klar.Julie Otsuka, Solange wir schwimmen

Doch dann passiert etwas, es gibt einen Riss im Schwimmbad und das gewohnte Leben ist in Gefahr. Woher kommt der Riss? Ist er gefährlich? Kann er repariert werden? Auch die Erinnerungen von Alice werden immer brüchiger und so kommt sie eines Tages in ein Pflegeheim. Ihre Tochter beginnt, die Beziehung zu ihrer Mutter aufzuarbeiten und zu vertiefen.

Als sie dich fragte, warum ihr euch nicht nähersteht, hast du gesagt, du weißt es nicht. Julie Otsuka, Solange wir schwimmen

Wie hat mir „Solange wir schwimmen“ gefallen?

Das Buch hat mich unglaublich berührt. Es fängt so leicht an mit der Beschreibung der Menschen, die sich regelmäßig im unterirdischen Schwimmbad treffen. Die ganzen merkwürdigen Typen mit ihren kleinen und großen Macken. Sie beschreibt auch ganz genau, wie gut es tut, regelmäßig Bahnen zu ziehen und das Gefühl danach. Es kommt mir nur zu bekannt vor.

Und für kurze Zeit fühlen wir uns in der Welt zu Hause. Stimmungen heben sich, Ticks verschwinden, Erinnerungen werden wach, Migränen lösen sich auf, und langsam, langsam – mit jedem Zug, mit jeder Bahn, die wir schwimmen – wird der Lärm in unseren Köpfen leiser. Und wenn wir unser Pensum geschafft haben, hieven wir uns aus dem Becken, tropfnass und erfrischt, unser Gleichgewicht wieder hergestellt, bereit für einen weiteren Tag an Land.Julie Otsuka, Solange wir schwimmen

Dann wird es von Kapitel zu Kapitel ernster und es geht an den Kern des Buches. Es geht um die Geschichte von Alice, ihrer Demenz und dass ihre Tochter merkt, dass es jetzt zu spät ist, all das nachzuholen, was sie mit ihrer Mutter hätte machen können.

Julie Otsuka gelingt es, das Ganze sprachlich so gut auszudrücken und schafft es sogar, das Pflegeheim in eine Stimme zu verwandeln. Es ist eine Stimme, die aufzählt, was dort auf Alice wartet und nichts beschönigt.

Nachdem Sie über vierzig Jahre zusammen mit Ihrem Mann ein großes Haus bewohnt haben, werden Sie jetzt in unmittelbarer Nähe einer völlig Fremden schlafen.Julie Otsuka, Solange wir schwimmen

Diese Beschreibungen zeigen, was aus den Erinnerungen alles verloren geht. Jegliche Selbstbestimmung, Intimsphäre und die gewohnte Umgebung mit den geliebten Menschen – es ist ein kompletter Neustart, bei dem das Ende vorbestimmt ist. Und den Weg dorthin schildert die Stimme des Pflegeheims genau, sehr sachlich, aber sehr direkt, so dass mir jetzt beim Schreiben noch immer ein Gefühl der Enge in der Magengegend ist.

Beklemmend genau geht beschreibt Julie Otsuka den Weg von Alice, sie schildert ihr Leben, die Höhen und die Tiefen und auch die Beziehung ihrer Tochter zu ihr. Ihr wird klar, was sie versäumt hat und man fühlt als Leser*in den Schmerz und den Verlust. Es tut so unglaublich weh und was ist das für eine Schreibkunst, das so fühlbar zu machen!

Ihr bleibt so sitzen, sie mit ihrer Hand auf deinem Arm, du auf dem Sofa neben ihr, ohne euch zu bewegen, fast ohne zu atmen, mehrere Minuten lang, bis es an der Zeit ist, sie zum Mittagessen in den Speisesaal zu rollen. Die schönsten fünf Minuten deines Lebens.Julie Otsuka, Solange wir schwimmen

So traurig das Buch ist, so gut ist es auch. Eine ganz große Leseempfehlung!

Informationen zum Buch
Buchtitel: Solange wir schwimmen
Autorin: Julie Otsuka
Übersetzerin: Katja Scholtz
Erscheinungsdatum: 08.08.2023
Verlag: mareverlag GmbH & Co. oHG
ISBN: 978-3-86648-691-1

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom mareverlag über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

„Was Nina wusste“ von David Grossman könnte ein weiteres Buch für dich sein, wenn dir die Beschreibung von „Solange wir schwimmen“ gefallen hat.

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