Aktualisiert am 29. November 2021 von Antje Tomfohrde
Plattenbausiedlung, Nachwendezeit – Sascha ist 13 und führt ein recht unaufgeregtes Leben. Das Aufregendste ist das morgendliche Vorbeischleichen an der Wohnungstür der gefürchteten Pawelke-Brüder, die Nachmittage mit seinem Freund Sonny und seine Sammlung außergewöhnlicher Wörter. Und dann kommt Juri in seine Klasse und die eigentliche Geschichte von „Nur vom Weltall aus ist die Erde blau“ beginnt.
Wovon handelt das Buch?
Das Buch beginnt im Jahr 2019, als Juri in die Plattenbausiedlung in Klein Krebslow zurückkehrt und einen Brief von Sascha aus der Nachwendezeit findet. Damit startet der Rückblick auf eine längst vergangene Zeit und wir Leser:innen springen mit Sascha ins Jahr 1994. Dort wartet das Leben im Plattenbau auf uns. Die erste Euphorie nach der Wende ist längst abgeebbt, „das alte Land ist untergegangen“ und die, die es können, verlassen den Plattenbau.
Die Tage von Sascha sind eine Anreihung immer gleicher Geschehnisse, angefangen vom morgendlichen Versteckspiel vor den gefürchteten Gebrüdern Pawelke, den Nachmittagen mit seinem besten Freund Sonny, der Elton John nacheifert und den Abenden mit seiner Familie, seiner Mutter, seinem nach der Wende sehr leise gewordenen Vater und seiner kleiner Schwester Nina. Dann passiert etwas, Jenni Köhn, Juri, kommt neu in seine Klasse und ist anders als alle, die Sascha bislang kannte und alles wird anders für ihn.
Erst einmal natürlich nicht, aber nachdem die Pawelkes Herrn Reza, der auch in der Plattenhaussiedlung wohnt und aus dem Iran kommt, zusammenschlagen, ändert sich etwas und Sascha und Juri verbringen viel Zeit miteinander, um die Brüder dingfest zu machen und Nachforschungen anzustellen. Doch nicht nur das ist es, was die beiden fast unzertrennlich macht, Sascha bewundert Juri für ihr Selbstbewusstsein und ihr unermesslich großes Wissen über den Weltraum und die Sterne. Für Juri ist Sascha sichtbar und das ist etwas Besonderes, denn er fühlte sich bislang immer unsichtbar.
Sonny ist derweil hauptsächlich mit seiner Musik beschäftigt und irgendwann kommt es zur Monsterkatastrophe und alles wird anders.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Coming-of-Age-Geschichten lese ich sehr gerne, so war es kein Wunder, dass ich gleich auf die Buchbeschreibung ansprang und diesen Roman lesen wollte. Es ist schon gut gemacht dadurch, dass es in der Jetzt-Zeit, also im Jahr 2019, beginnt und durch den Brief eine Rückblende beginnt. Die Geschichte fängt ganz langsam und leise an und ich kann mir ungefähr vorstellen, wie es bei Sascha Labude aussah und wie sie lebten, auch wenn ich nicht aus dem Osten komme, aber ich habe diese Zeit ja schon als Erwachsene erlebt und kann mich an die Stimmung im Land erinnern.
Mit Juri als Neuer in der Klasse beginnt dann ein neuer Abschnitt und die Eintönigkeit von Saschas Tagen wird durchbrochen. Die Geschichte nimmt Fahrt auf. Es wird nicht rasant, aber mit jeder Seite geht es mehr auf die „Monsterkatastrophe“ zu. Allerdings werde ich jetzt nichts über diese Katastrophe schreiben, denn was jetzt genau die eigentliche Katastrophe ist, muss jede:r für sich selbst ausmachen.
Das für mich Schöne dieses Buchs ist, wie langsam und nicht langatmig oder langweilig der Autor diese Geschichte erzählt. Er fängt die feinen Nuancen der Zeit ein, obwohl er zu dem Zeitpunkt noch ein kleine Kind war und schafft es die Gefühle der Hauptpersonen so gut und vor allem dem Alter der Personen angemessen zu beschreiben. Es wirkt echt, nicht gekünstelt oder zwanghaft gewollt. Björn Stephan unterstreicht das durch Begriffe wie „pesen“, wie lange habe ich diesen Begriff nicht mehr gehört, eindeutig ein Wort der 90er Jahre. Schön ist auch, dass er seinen Erzähler Begriffe erklären lässt, wie ein Jugendlicher das tun würde: „Ich kam mir plüschig vor (was ein anderes Wort für naiv ist) und unbeholfen vor.“
Juri ist weltraumverrückt, Sascha sammelt besondere Wörter aus verschiedenen Sprachen, Sonny möchte wie Elton John sein (er hat sogar eine Federboa), Herr Reza hat ein trauriges Geheimnis und auch die Pawelkes bestehen nicht komplett aus einer Farbe. Die Personen sind liebevoll erstellt worden. Dies und die Tatsache, dass die Geschichte nicht zu einer mit Sensationen gespickten Jugenddetektivgeschichte abdriftet, sondern bis zum Schluss ganz fein und eher sanft erzählt, hat das Buch für mich zu einem Lesevergnügen gemacht und kann es deshalb nur empfehlen.
Autor: Björn Stephan
Verlag: Galiani Berlin
Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86971-229-1
Mein Buch ist ein Rezensionsexemplar, welches mir vom Galiani Verlag kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank dafür!
Ein weiterer Coming-of-Age-Roman ist „Schöner als überall“ von Kristin Höller, vielleicht ist das ja auch ein Buch für dich. Auch „Dings oder morgen zerfallen wir zu Staub“ von Roman Markus spielt in der Wendezeit und ich kann es dir nur empfehlen.