Irgendwann werden wir uns alles erzählen von Daniela Krien

Das Buch "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" von Daniela Krien auf einem hellen, holzähnlichen Hintergrund. Das Bild ist das Headerbild des Blogbeitrags.

Aktualisiert am 4. März 2023 von Antje Tomfohrde

1990, Wendezeit, Deutschland ist im Umbruch – ich kann mich noch genau an diese Zeit erinnern, an dieses Versprechen und auch die Sorge, wie die Zukunft wird, wenn sich die beiden Hälften Deutschlands wieder vereinen. „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist Daniela Kriens Debütroman und spielt in dieser Zeit in einem Dorf in der Nähe der deutsch-deutschen Grenze. Es geht um Zukunft, Zweifel und Liebe.

Worum geht es in dem Buch?

Der Sommer 1990, Ost- und Westdeutschland stehen vor der Wiedervereinigung. In einem Dorf in der Nähe der nun nicht mehr relevanten deutsch-deutschen Grenze ist Maria zu Johannes auf den Hof seiner Eltern gezogen. Schule steht gerade nicht ganz oben auf ihrer Prioritätenliste, sie verbringt ihre Tage lieber mit dem Lesen von „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewski.

Es wirkt so, als ob die Wende noch nicht ganz angekommen ist, alles geht in diesem Ort langsamer als anderswo. In der Stadt pulsiert das Leben und auf dem Land zieht die Veränderung erst langsam ein.

Es ist ein besonderes Dorf. Weder Krieg noch DDR haben es zerstören können, so sagt es die Frieda gern. Außer ein paar Wohnhäusern und der LPG gibt es nur wenig Neues.Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Daniela Krien

Eines Tages trifft sie Henner, den 40-jährigen Nachbarn. Er ist bekannt für seine Sauftouren und Frauengeschichten, einige Geschichten ranken sich um ihn. Sie kommt von ihrer Mutter, die ihre Arbeit verloren hat und ist in Gedanken.

Was soll aus ihr werden ohne den Vater, ohne Arbeit, bei den Schwiegereltern im Haus? Es ist ihre Traurigkeit, die mich aus dem Haus getrieben hat. Die saugt mir die Kraft aus dem Körper und die Freude aus dem Herzen.Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Daniela Krien

Es ist eine merkwürdige Begegnung. Es ist sofort klar, dass die Geschichte mit den beiden weitergehen wird.

Wie hat mir „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ gefallen?

Dieses Buch hatte ich schon lange auf meiner Leseliste und auf dem Stapel der ungelesenen Bücher. Über einen Post in meiner Instagram Story habe ich Michaela Frankenberger als Buddyread Partnerin für das Debüt von Daniela Krien gefunden, ein Glücksgriff, konnten wir das Buch doch aus Sicht einer Ost- und einer Westdeutschen besprechen. Ungefähr gleich alt haben wir die Wendezeit erlebt, nur in den unterschiedlichen Teilen des Landes. Dies hat dem gemeinsamen Lesen und Besprechen des Buches noch einmal etwas ganz Besonderes verliehen.

Doch wie war jetzt „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ für mich? Es hat mich sprachlich umgehauen, welche Ausdruckskraft Daniela Krien hat, sie schafft es, die Stimmung, die Gefühle so rüber zu bringen, dass man als Leserin auch das Unausgesprochene spürt. Hier war es die Intensität der Gefühle von Maria und Henner und der Verschlafenheit des Dorfes, des Kummers der Mutter, der Angst der Menschen vor der Veränderung, der Begeisterung der Menschen über die Veränderung, die tiefliegenden Schmerzen der Erinnerung.

Es ist eine brachiale Leidenschaft, die über Maria und Henner herein bricht. Ich finde es teilweise erschreckend und beängstigend, gewaltvoll und schmerzhaft. Es ist eine Liebe, Besessenheit vom anderen, die über ein gesundes Maß hinausgeht.

Es ist jedes Mal wie Stürzen, wenn ich seine Sätze lese, und jedes Mal möchte ich losrennen und alles zurücklassen, sogar den Johannes. Doch ich tue es nicht.Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Daniela Krien

Johannes ist ihr nicht mehr so wichtig, aber dieses Gefühl zu seiner Familie zu gehören, endlich ein anerkanntes Mitglied einer Gruppe zu sein, gefällt ihr, tut ihr gut. Alles arbeitet in ihr. Sie ist wie ihr Land. Auf der einen Seite freut sie sich auf das Neue und auf der anderen Seite weiß sie nicht, ob es wirklich gut ist. Interessanterweise habe ich zuerst gedacht, dass sie die Schwächere ist, dass sie ausgenutzt wird. Doch es geht viel tiefer, die Last, die auf Henner liegt, ist kaum in Worte zu fassen, so schwer ist sie. Allein der Gedanke daran tut weh.

Während es um die Geschichte Marias und Henners geht, geht es auch um die Wendezeit. Es kommt die Zeit, in der die Stasiakten eingesehen werden können, es gibt die, die es lieber hätten, wenn Ostdeutschland langsam in die BRD hineinwachsen könnte und nicht im Hauruckverfahren. Es ist Zeitgeschichte, die ich erlebt habe. Und das war das Besondere an dem Austausch, denn Michaela ist aus dem Osten und ich aus dem Westen. Beide wissen wir noch genau, wie es damals für uns war.

Es ist eine unglaublich schmerzhafte Geschichte und es gibt Szenen, die schwer zu ertragen sind. „Die Brüder Karamasow“ sind wie eine Klammer um die Geschichte. Ein Buch, dass unter die Haut geht und eine*n heftig schüttelt beim Lesen. Eine absolute Leseempfehlung!

Informationen zum Buch
Buchtitel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Autor: Daniela Krien
Verlag: Ullstein Verlag
Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe: 16. September 2011
ISBN: 978-3-548-06172-6

PS: Dieses Buch ist selbst gekauft, falls ihr online bestellen möchtet und nicht bei einem der großen Online-Shops kaufen möchtet, verlinke ich hier auf meine Stammbuchhandlung, die  Hohenlimburger Buchhandlung, denn mir liegt der Erhalt der kleinen Buchhandlungen vor Ort am Herzen. #SupportYourLocalBookShop

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Ein weiteres Buch, das ich von Daniela Krien gelesen habe ist „Der Brand„. „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist mittlerweile verfilmt worden und ich bin gespannt, ob die Verfilmung dem Buch gerecht wird.

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