Die Überlebenden von Alex Schulman

Buchcover "Die Überlebenden" von Alex Schulman

Aktualisiert am 29. August 2021 von Antje Tomfohrde

Wie sehr kann die Beziehung zu den Eltern, die Beziehung zu den Geschwistern und einen für ein ganzes Leben prägen? Was hat Nils, Pierre und Benjamin zu den Erwachsenen werden lassen, die sie sind, als sie die Asche ihrer Mutter am See ihrer Kindheit verstreuen wollen?

Wovon handelt das Buch?

Das Buch beginnt am Ende. Nils, Benjamin und Pierre sind am Sommerhaus, wo sie in ihrer Kindheit die Sommer verbracht haben, um den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen und ihre Asche dort am See zu verstreuen.

Was sich hier auf der Steintreppe abspielt, das Weinen der drei Brüder, die geschwollenen Gesichter und all das Blut, ist nur der letzte Ring auf dem Wasser, der äußerste, der am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt ist.Die Überlebenden, Alex Schulman

Alex Schulman steigt von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit und kehrt zwischendurch immer wieder in den in der Gegenwart verlaufenden Handlungsstrang zurück. Es beginnt mit den ersten Kapiteln, in denen klar wird, dass die Kindheit der drei Jungen geprägt ist durch eine Mutter, die mal ganz liebevoll sein kann und sich dann wieder in eine ganz kühle Person verwandelt; durch einen Vater, der ganz überschwänglich und enthusiastisch sein kann; durch zwei intelligente Eltern, die es aber nicht geschafft haben, ihr Leben auch äußerlich dem Bildungsbürgertum anzupassen; durch zwei Eltern, die dem Alkohol zu gern zusprechen.

Und dann gab es dieses eine Ereignis in einem dieser Sommer, das alles geändert hat und Auswirkungen bis in die Jetztzeit, bis in jeden Moment des Lebens der drei Brüder hat und über das sie nie reden, das sie in die Sprachlosigkeit getrieben hat.

Es wird über die Sommer am See im Sommerhaus erzählt, über Wettschwimmen, Streitigkeiten unter Brüdern und darüber, wie leicht die Stimmung von einem Moment zum nächsten kippen konnte und aus einem leichten, sonnigen Tag ein ganz dunkler Tag werden konnte.

Mamas Erziehungsmethoden waren streng und von Regeln durchsetzt, und zugleich völlig regellos. Mama war hart, aber nicht klar.Die Überlebenden, Alex Schulman

Die Brüder wetteifern darin, genug von der Liebe der Eltern und insbesondere von der nicht konstant wirkenden Liebe ihrer Mutter abzubekommen. Die Kinder saugen diese kostbaren Momente förmlich auf. Die Geschichte ist mit den Augen von Benjamin erzählt, dem Kind, der immer der Beobachter, der Empathische war.

Durch den Tod der Mutter beginnt die Aufarbeitung der Familien- und der eigenen Lebensgeschichten der Brüder.

Erst ganz am Ende wird aufgelöst, was damals vor zwanzig Jahren geschah und was die Familie zum Schweigen brachte, warum die Brüder nicht miteinander reden können.

Wie hat mir „Die Überlebenden“ gefallen?

Bei diesem Buch einfach nur zu sagen, das es mir gefallen hat, würde diesem Buch nicht gerecht werden. Es ist eine Geschichte, die mich von Anfang an gefesselt hat, ich spürte teilweise eine unterschwellige Angst um die Kinder ob der auch unterschwellig zwischen den Sätzen liegenden Aggression und tiefen Verletzung, von der bis zum Ende nicht ganz klar war, was genau den Ausschlag gegeben hat.

Von Anfang an wurde eine ganz merkwürdige Atmosphäre geschaffen, was auch daran lag, dass Benjamins Blickwinkel genutzt wurde, der der Beobachter in der Familie war, derjenige, der die feinen zwischenmenschlichen Schwingungen lesen konnte. Es gibt eine Szene einer Autofahrt, die ganz bedrohlich wirkte und wo die Spannung immer stärker wird allein durch die intensive Beschreibung von Benjamins Beobachtungen.

Benjamin saß hinten in der Mitte, das war sein Platz, denn von dort hatte er den Überblick: über seine Eltern, die Straße, seine Brüder, die jeweils auf einer Seite neben ihm saßen.Die Überlebenden, Alex Schulman

In dieser Szene wird die Spannung mit jedem Wort fühlbarer und so ist es auch an anderen Stellen im Buch. Alex Schulman hat eine Art, sich ganz intensiv auszudrücken und verstärkt so die Geschichte noch. Diese Spannung, das Ungewisse wird bis zum Ende des Buchs aufrechterhalten.

Am Ende des Buchs wird es ganz intensiv und die Gefühle von mir als Leserin sind Achterbahn gefahren, so sehr hat es mich mitgenommen, was diese Familie an Seelenschmerz durchleiden musste.

Es ist immer ein Balanceakt, eine solche Geschichte, wie „Die Überlebenden“ zu erzählen ohne ins Kitschige abzudriften oder zu stark aufzutragen, obwohl die Realität ja meist härter ist, als eine Geschichte. Alex Schulman erzählt es so, dass es echt wirkt, die Eltern, die drei Jungen und die drei Männer, die sie werden. Der Schmerz und das Trauma sind greifbar.

Es ist ein Buch, bei dem ich eine Zeit brauchen werde, um wieder aus der Geschichte zu finden. Es ist ein Buch, bei dem ich am Ende geweint habe. Es ist ein Buch, das mich wirklich bewegt hat und das mir nahe gegangen ist. Es ist ein wirklich beeindruckendes Debüt, das sowohl sprachlich als auch erzählerisch überzeugt hat. Der Titel heißt mit Recht „Die Überlebenden“, denn das ist, was sie gemacht haben, sie haben überlebt.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Die Überlebenden
Autor: Alex Schulman
Übersetzerin: Hanna Granz
Verlag: DTV Verlag
Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-423-28293-2

Mein Leseexemplar ist ein kostenloses Freiexemplar, welches ich bei „Was liest du?“ gewonnen habe und das vom DTV Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür ein großes Dankeschön!

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekomme oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Wenn dir „Die Überlebenden“ von Alex Schulman gefallen hat, kann ich dir auch das Buch „Was Nina wusste“ von David Grossman empfehlen.

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