Aktualisiert am 19. November 2021 von Antje Tomfohrde
Was fühlt ein kleiner Junge, dessen Mutter ihn von einem Tag auf den anderen verlässt, um mit einem Maler und einer Tänzerin nach Bali zu ziehen? Erst im hohen Erwachsenenalter versucht Myshkin zu verstehen, was mit seiner Mutter damals, im Indien der 30er Jahre, geschah und warum sie das getan hat.
Wovon handelt das Buch?
Myshkin lebt mit seiner Familie in einem kleinen Ort unterhalb des Himalaya im Indien der 30er Jahre, als seine Mutter ihn und seinen Vater scheinbar plötzlich verlässt und mit dem Maler Walter Spiess und der Tänzerin Beryl de Zoete nach Bali geht. Dort kann sie sich als Malerin verwirklichen und dem Käfig ihrer traditionellen Ehe entfliehen.
Doch warum lässt sie einfach ihren Sohn zurück? Diese Frage bestimmt das Leben von Myshkin. Warum hat sie ihn nicht mitgenommen? Erst als älterer Herr geht er dieser Frage nach und versucht herauszufinden, was damals geschah.
Seine Mutter wurde von ihrem Vater nicht traditionell erzogen und hatte Zugang zu vielem, was damals nicht selbstverständlich für ein Mädchen war. So bereiste sie mit ihm Bali und lernte dort Walter Spiess kennen. Ihre Liebe zur Kunst und zur Musik war keine Eintagsfliege, es war etwas, das sie schon ihr ganzes Leben begleitete. Nach dem Tod des Vaters heiratete sie den Vater ihres Sohnes und begann das Leben einer zu der damaligen Zeit typischen indischen Ehefrau.
Indien befand sich damals im Umbruch, unzufrieden mit der britischen Kolonialherrschaft und zusätzlich lag der zweite Weltkrieg in der Luft. Eine spannende, explosive Zeit, die gesellschaftliche Umbrüche erahnen ließ, auch was die Rolle der Frau anging.
Durch das Wiedersehen mit Walter Spiess erwachte die Leidenschaft zur Malerei wieder in Gayatri und sie nutzte ihre Chance ihrem eingefahrenen Leben zu entkommen. Aber warum ohne ihren Sohn?
Wie hat mir „Der Garten meiner Mutter“ gefallen?
Eine vielversprechende Geschichte, die Wahrheit und Fiktion miteinander vermischt und aus der Sicht des zurückgelassenen Sohnes erzählt wird. Er, der sich sein ganzen Leben lang mit der Frage herumschlagen musste, ob seine Mutter ihn nicht wirklich geliebt hat.
„Der Garten meiner Mutter“ erzählt sehr detailverliebt, was geschah und beleuchtet die Geschichte aus Sicht des Protagonisten Myshkin, aber auch aus Sicht der Mutter. Es wird über die Zeit bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Mutter die Familie verlässt, sehr genau erzählt und dann später fast nur noch über Briefe, was vieles langsam klar werden lässt.
Als Kind, das ohne Erklärung verlassen wurde, empfand ich nur Wut, Kummer und Verwirrung.Der Garten meiner Mutter, Anuradha Roy
Der Sohn ist Zeit seines Lebens von dieser Frage geprägt und auch sein Leben hat sich danach komplett geändert. Wie wäre es verlaufen, wenn die Mutter ihn nicht allein bei seinem Vater zurückgelassen hätte? Eine interessante Art, die Geschichte zu erzählen, die Anuradha Roy sich überlegt hat. Man fühlt mit dem Jungen mit, wie er leidet und seine Mutter vermisst. Aber man bekommt auch einen Überblick über die damalige Zeit, was bewegte sich in Indien und wie sehr war auch der Vater noch in seiner traditionellen Rolle gefangen, obwohl er sich für die Reformideen einsetzte. Und auch die Seite der Mutter ist zu verstehen, niemand wird komplett an den Pranger gestellt.
Insgesamt hat mir „Der Garten meiner Mutter“ gut gefallen, allerdings hatte es durch die teilweise sehr detaillierte Erzählweise Längen, die der Geschichte ein wenig den Schwung genommen haben und ich zeitweise gedacht habe, dass es kürzer besser gewesen wäre. Ohne diese Ausschweifungen hätte es mich richtig fesseln können. Aber das ist ja wie immer auch Geschmacksache.
Autorin: Anuradha Roy
Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence
Verlag: Luchterhand Verlag
Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-630-87632-0
Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das Bloggerportal vom Luchterhand Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich herzlich! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Ein Buch, welches dir gefallen könnte, wenn dich „Der Garten meiner Mutter“ interessiert hat, ist „Der Gesang der Berge“ von Nguyễn Phan Quế Mai