Aktualisiert am 27. Dezember 2023 von Antje Tomfohrde
Wie ist es als Buchhändlerin in einer Kleinstadt in Zeiten von Online-Handelsriesen und Pandemie? Ist Buchhändlerin immer noch der schönste Beruf der Welt? Die neue Sparte „Das Buchzuhause Interview“ startet mit einem Interview mit Ursula Heering von der Hohenlimburger Buchhandlung. Sie führt das Buchgeschäft in meinem Heimatort und Treffpunkt der Lesesüchtigen in der kleinen Stadt Hohenlimburg. Die Buchhändlerin aus Leidenschaft nimmt uns mit in ihren Alltag und erzählt, warum Buchhändlerin auch nach über 30 Jahren für sie immer noch der schönste Beruf der Welt ist.
Die Hohenlimburger Buchhandlung gibt es schon länger, als ich mich erinnern kann. Sie hieß zuerst Buchhandlung Steglich und wurde nach Ausscheiden von Herrn Steglich sen. von seinem Schwiegersohn weitergeführt, bis dieser leider plötzlich verstarb. 2011 wurde der Laden dann von Herrn Liffers übernommen und seit 2015 wird er von Ursula Heering unter dem Namen Hohenlimburger Buchhandlung fortgeführt. Eine mutige Entscheidung, die Buchhandlung in einer immer leerer werdenden Innenstadt zu übernehmen, aber Mut wird bekanntlich oft belohnt, vor allem, wenn auch noch Engagement und Herzblut hinzukommen.
Seit 1990 ist die Buchhandlung ihr berufliches Zuhause und zusammen mit den beiden Buchhändlerinnen Carola Herrmann, die seit 1991 dort arbeitet und Beate Köntopp, die sie seit dem Jahr 2000 kennt, berät sie uns Bücherliebhaberinnen und Bücherliebhaber hier im Ort.
Die Buchhandlung ist innerorts mehrere Male umgezogen und seit 2015 am neuen Standort mitten in der Hohenlimburger Innenstadt zu finden.
Ursula Heering – Buchhändlerin – Der schönste Beruf der Welt
Uschi, wie schön, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Erzähl doch zu Beginn ein wenig über dich und stell dich kurz vor.
Ursula Heering: Ich ich bin jetzt 60 Jahre alt und wurde in Gütersloh geboren. 1975 wurde mein Vater nach Dortmund versetzt und die Familie zog natürlich mit. Von klein auf habe ich gerne gelesen und so war es ein logischer Schritt, dass ich 1980 meine Ausbildung zur Buchhändlerin in Dortmund in der Universitätsbuchhandlung begonnen habe. 1982 habe ich meinen Freund kennengelernt bin ein Jahr später der Liebe wegen nach Hagen gekommen und habe dann bei Montanus, also jetzt Thalia gearbeitet. Eine Zeitlang auch in Essen und seit Januar 1990 bei der Buchhandlung Steglich. Mittlerweile bin ich seit 31 Jahren in Hohenlimburg als Buchhändlerin tätig, also fast so lange, wie der alte Herr Steglich die Buchhandlung geführt hat, sie muss Ende der 40er Jahre entstanden sein. Als ich angefangen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals so lange an einem Ort zu arbeiten.
Du hast kürzlich noch gesagt, Buchhändlerin sei immer noch, auch nach 30 Jahren, dein Traumberuf, warum bzw. was macht es für dich aus?
Ursula Heering: Ja, das ist so. Zwei Sachen haben mir immer besonders viel Spaß gemacht. Ich komme aus Gütersloh und Gütersloh ist Bertelsmann und Lesen war immer ein Thema bei uns. Meine Mutter hat viel gelesen, der Gang zur Bücherei war normal und mein Onkel hat bei Bertelsmann gearbeitet und insofern kann ich sagen, dass ich mit Büchern aufgewachsen bin. Sie gehörten immer zu meinem Leben und ich finde es einfach richtig schön, in Geschichten abzutauchen. Darüber hinaus ist es aber auch das Arbeiten mit Büchern, ich habe so viel durch Bücher gelernt oder mit Büchern auch gelernt – einfach nebenbei. Dann sind es natürlich auch die Menschen, wir haben hier einfach ganz viele liebe Kunden und ich bin mit ihnen so verwurzelt, genauso wie mit Carola (ich keine sie seit 1984 von Montanus her) und Beate hat 2000 hier im Laden die Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht und ist nach ihrem Studium, der Geburt der Kinder wieder hier eingestiegen, als ich den Laden übernommen habe.
Das Team der Hohenlimburger Buchhandlung
Man merkt es an der Atmosphäre, wenn man in den Laden kommt, dass ihr euch schon so lange kennt und ein richtige gutes Team seid. Dein Mann ist ja auch mit von der Partie, was ist seine Aufgabe?
Ursula Heering: Er kümmert sich um die Buchhaltung und das ist wichtig in einer Buchhandlung, denn oft sind Menschen, die Bücher verkaufen, keine Kaufleute und es wird oftmals vergessen, dass Buchhändlerin auch ein kaufmännischer Beruf ist. Und er ist genau der Richtige dafür, denn er arbeitet im kaufmännischen Bereich, im Controlling. Er achtet darauf, dass wir nicht zu heftig Bücher einkaufen. Ohne ihn hätte ich den Laden nicht übernommen.
Mein Traum wäre es, einfach nur schöne Bücher einzukaufen und an nette Menschen zu verkaufen. Dies hat sich allerdings geändert, das Einkaufsverhalten ist anders geworden.
Was hat sich verändert?
Ursula Heering: Es gibt das Internet, eBooks und die ganzen anderen Wege, an Bücher zu kommen, wie z.B. eBay, Tauschbörsen und das sind dann Bücher, die an uns vorbeigehen. Es gibt einen schönen Cartoon von Sonpé, ein französischer Illustrator, in dem sich die ganze Straße immer wieder ändert im Laufe der Jahrzehnte, nur die Buchhandlung bleibt und so sehe ich den deutschen Buchhandel im Moment noch, da es zum Glück die Preisbindung gibt, die für uns auch ganz, ganz wichtig ist. Es müssen all die Kosten gedeckt werden wie Versand, Ladenmiete, Strom, Gas , Wasser und natürlich Personalkosten. Das ist manchmal nicht ganz so dolle und schwierig und anstrengend und trotzdem macht es immer noch Spaß.
Das stimmt, das wird oft vergessen, was an Kosten dahinter steckt und was es für ein hartes Geschäft ist gegenzuhalten gegen die Ladenketten. Ihr seid aber auch nicht nur offline als Ladengeschäft unterwegs, sondern habt auch einen Online-Shop über Genial Lokal, sogar schon seit 10 Jahren und ich denke, dass es sehr vorausschauend war, auch wenn da noch jemand zwischengeschaltet ist, oder?
Ursula Heering: Ich bin froh, es war noch Herr Steglich jun., der sich 2014 der EBuch (Einkaufsgenossenschaft Buch) angeschlossen hat. Das ist eine Genossenschaft von ungefähr 800 Buchhandlungen, die sich zusammengeschlossen haben und auch diesen Online-Shop Genial Lokal entwickelt haben. Es ist eine gute Sache für uns Buchhandlungen, da wir dadurch viele Möglichkeiten haben, die wir sonst nicht hätten, wenn wir nicht diese Genossenschaft im Hintergrund hätten. Die kümmern sich und sind aktiv und wir profitieren davon, dass wir sie im Rücken haben und dadurch können wir auch mal exotische Sachen ausprobieren, also Bücher außerhalb der Bestsellerlisten anbieten.
So sieht es aus, wenn die Schulbücher geliefert wurden:
Wie sieht es mit E-Books aus? Zum Glück gibt es ja auch E-Book-Reader, die mehr als nur einen Händler zulassen, kommen auch Leute hier in den Laden und lassen sich für E-Books beraten? Oder kaufen sie online bei euch im Online Shop?
Ursula Heering: Zum Glück gibt es sie, aber für uns ist der Kauf des guten Papierbuchs immer noch lukrativer. Wenn die E-Book-Reader bei uns gekauft werden, ist unser Laden voreingestellt und die meisten Menschen lassen es dann auch so. Es gibt aber auch einige, die gerne hier in den Laden kommen, sich beraten lassen und wir leiten dann den Link weiter. Es ist auch möglich, einen Gutschein dafür einzulösen.
Guter Punkt, der auch nicht ganz so bekannt ist. Viele wissen gar nicht, dass man hier vor Ort bei euch im Laden auch online bestellen kann, anstatt andere Online Händler zu nutzen oder in den nächstgrößeren Ort zu gehen. Corona hat das ja noch verstärkt.
Ursula Heering: Ja, das stimmt. Ich gehe immer noch lieber in „richtigen“ Geschäften einkaufen und kaufe am liebsten im Urlaub ein. Dann habe ich Zeit und die Sachen sind dann auch meist eine schöne Erinnerung wie das T-Shirt aus der Bretagne und der Rock vom Gardasee.
Das sind wirklich schöne Erinnerungen aus dem Urlaub! Ein weiterer Vorteil von Geschäften vor Ort, ganz besonders Büchergeschäften ist ja, dass ihr eure Leser:innen so gut kennt. Wie schafft ihr es eigentlich, die Bücher so zu bestellen, dass ihr die Vorlieben eurer Kundinnen trefft? Carola Herrmann hatte irgendwann einmal zu mir im Gespräch gesagt, dass sie z.B. „Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami für eine ganz bestimmte Kundin ausgewählt hätte und diese hat es dann auch gekauft. Wie macht ihr das? Erfahrung und ein gutes Gespür für die Kund:innen? Habt ihr die Genre aufgeteilt?
Ursula Heering: Wir gehen die Verlagsvorschauen durch, gucken danach, welche Autoren oder Titel wir kennen und rechnen hoch, was mit vorherigen Büchern vom Autoren lief und natürlich ist es ganz viel Erfahrung. Wir wissen, wer Literatur liest und wer Krimis, wer Frauenliteratur liest und nach 30 Jahren kennst du die Leute einfach. Manchmal geht es auch in die Hose, aber das passiert nicht oft. Es sind tatsächlich Erfahrungswerte. Ich nehme die Buchvorschauen der gebunden Bücher mit nach Hause und gucke sie auf dem Sofa durch. Die Sachen, bei denen ich meine, dass wir sie gut verkaufen können, ziehe ich raus. Die sammeln wir dann nach Monaten sortiert in einem dicken, fetten Ordner und dann gucken wir dann zusammen durch, was wir dann wirklich nehmen. Ansonsten ist Beate Köntopp ist für Kinder- und Jugendbücher zuständig, Carola Herrmann für Karten, Kalender, Social Media und Taschenbuchneuerscheinungen.
In der Unibuchhandlung war es damals ganz anders. Wenn die Semesterbestellungen kamen, da haben wir geschuftet und gestapelt, das war echt heftig. Richtig zu bedienen, zu beraten, habe ich erst hier richtig gelernt. Es ist auch ein Unterschied, ob du eine literarische Buchhandlung hast, in Dortmund auf dem Westenhellweg oder ob du in einem kleinen Vorort bist.
Buchtipps zum Verschenken:
Ihr seid zu viert, du, Carola, x und dein Mann, wie habt ihr das aufgeteilt? Dein Mann macht die Buchhaltung, Carola den Großteil an Social Media oder habt ihr die Kanäle aufgeteilt?
Ursula Heering: Carola macht Instagram, Facebook macht auch mal mein Mann Martin und die anderen Sachen wie Newsletter macht er auch. Ich stelle mich nur für Fotos zur Verfügung und mache in dem Bereich eher nichts.
Ach ja, ich kann mich daran erinnern, Social Media ist ja nicht so deins. Aber genial war einfach, wie du dich im Frühjahr 2020 einfach vor die Kamera gestellt hast und das Video aufgenommen hast, um zu demonstrieren, dass ihr da seid in der Corona-Zeit, Hut ab! Viele andere haben ja erst einmal nichts gemacht und ihr habt einfach ein Video gemacht. und dann kam noch der Video-Adventskalender auf YouTube.
Ursula Heering: Es war absehbar, dass unsere Buchvorstellung, die immer im November stattfindet, nicht stattfinden konnte. Da wir aber alle Bücher schon gelesen hatten, haben wir überlegt, was wir machen sollen und dann haben wir den Adventskalender gemacht. Vom 1. bis zum 24. Dezember 2020 wurde jeden Tag ein Buch vorgestellt. Das war teilweise wirklich witzig. Beate Küntrop hatte ihre Tochter mit eingespannt, Sandra Quellmann (WDR Moderatorin und in Hohenlimburg aufgewachsen) und Felicty Whitmore hat eines ihrer Bücher vorgestellt (sie leitet zusammen mit ihrem Mann „Das Theater an der Volme“ in Hagen).
Das war eine wirklich gute Idee! Da habt ihr doch bestimmt viel Rückmeldung drauf bekommen, oder?
Ursula Heering: Nicht bei allen Titeln, aber es gab gerade bei den Titeln, bei denen wohl unsere Begeisterung besonders spürbar war, auf jeden Fall positive Rückmeldungen.
Das ist schön! Ihr macht ja auch weiter mit Social Media und man sieht die Entwicklung und es werden auch hier in der Kleinstadt mehr Menschen, die sich so informieren.
Ursula Heering: Wir kommen ja nicht daran vorbei, auch wenn ich persönlich es nicht bräuchte, aber den Buchhändler, der in der Ecke sitzt und Bücher liest, den gibt es schon lange nicht mehr.
Wie du weißt, bin ich ja ein Fan von Social Media und gerade im Buchhandel passen online und analoge Welt für mich gut zusammen. Einige Bücher hätte ich sonst gar nicht entdeckt, wenn ich sie nicht im Netz über Empfehlungen gefunden hätte. Es war schon toll, was ihr in der Corona Zeit auf die Beine gestellt habt. Natürlich ist es jetzt auch schön, wieder hier zu sein und mit dir zu sprechen. Was habt ihr für die weitere Zeit geplant?
Ursula Heering: Wenn es nicht wieder geschlossen wieder, werden wir wieder Büchervorstellungen vor Ort machen.
Buchvorstellung in der Hohenlimburger Buchhandlung
Gibt es denn dann auch weiter die Buchvorstellungen auf Social Media geben?
Ursula Heering: Das wird bleiben. Warum soll nicht das, was gut ist, bleiben? Wir werden aber auch wieder verstärkt Veranstaltungen vor Ort haben, also Carola, Beate und ich stellen die Bücher vor, es gibt etwas zu knabbern, ein Weinchen und gerade vor Weihnachten ist das immer sensationell, auch wenn es immer wieder ganz schön aufregend ist. Das ist schon schön und tut auch gut. Der Frauenabend ist umsatztechnisch immer am stärksten.
Das kann ich mir echt vorstellen. Ihr habt ja auch eine große Auswahl an sogenannter Frauenliteratur, aber auch so einiges, was mir zum Beispiel auch mir gefällt, sonst wäre ich ja nicht Stammkundin bei euch.
Ursula Heering: Das stimmt, aber ich kann mich noch daran erinnern, als damals in den 80ern viel über Gleichstellung geredet wurde, über Emanzipation und da würde ich mir wünschen, dass hier wieder bei jungen Frauen passieren würde bzw. mehr darüber geredet würde, dass das alte Rollenbild verschwindet.
Da gibt es noch viel zu tun, hier könnte noch mehr diskutiert werden und wir Eltern stehen da in der Pflicht, in der Richtung anders zu erziehen. Mehr feministische Literatur würde gut tun und unsere Kinder zu wirklicher Gleichstellung zu erziehen.
Ursula Heering: Und es ist auch eine Aufgabe von uns Buchhändlern und Buchhändlerinnen, einfach auch zu zeigen, was Wort kann, das Lesen die Qualifikation ist, um ein denkender Mensch zu werden. Und das versuche ich auch immer den Kindern bei Leseaktionen klar zu machen, dass es nicht überall Meinungsfreiheit gibt, dass nicht überall möglich ist sagen zu dürfen, was man möchte, dass das hier eine großartige Ausnahme ist und das dieses lesen Können so wichtig ist, um selbstständig denken zu können. Das finde ich wichtig!
Absolut! Das war ein starkes Statement am Schluss unseres Gesprächs! Vielen Dank für den Einblick in deinen wunderbaren, anstrengenden und auch kreativen Beruf, denn die ganze Deko immer zu machen, hat ja auch sehr viel mit Kreativität zu tun!
Natürlich haben wir noch über viele weitere Themen gesprochen wie Meinungsfreiheit, Gendern, das Leben in unserer Kleinstadt und die aktuelle Sommerlektüre, denn das Interview fand kurz vor den 2021 statt, dann kam das Hochwasser und jetzt vor Weihnachten ist doch ein idealer Zeitpunkt, um ein Interview mit einer Buchhändlerin aus Leidenschaft zu veröffentlichen.
Einige von euch kennen vielleicht auch schon Carola Herrmann, sie war in der Weihnachtsausgabe des virtuellen Buchtreffs „Bücherbar“ zu Gast und hat drei Bücher zu Weihnachten vorgestellt, ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie online und analoge Welt sich ergänzen können. Es ist schön, wenn Menschen ihren Beruf so lieben und das scheint bei den Buchhändlerinnen in der Hohenlimburger Buchhandlung absolut der Fall zu sein.
Die Hohenlimburger Buchhandlung ist über die Website https://www.genialokal.de/buchhandlung/hagen/hohenlimburger-buchhandlung/ zu erreichen und auf Instagram und Facebook zu finden. Auf der Website ist auch ein Online Shop integriert, denn der lokale Buchhandlung kann das, was die großen Versandhändler können, auch. Also, wenn es online sein muss, dann kauft eure Bücher und eBooks doch online beim Buchladen um die Ecke!
#SupportYourLocalBookstore
Hier die Links zu den im Text erwähnten Buchtipps:
„Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky aus dem Kiwi Verlag
„Das rote Band der Hoffnung“ von Lucy Adlington aus dem Magellan Verlag
„Stay away from Gretchen“ von Susanne Abel aus dem DTV Verlag
Mit Jennifer Brockerhoff, der Autorin der Ratgeber „Grüne Finanzen“ und „Nachhaltige Geldanlagen“ habe ich ein weiteres Interview geführt.
Danke für den schönen Beitrag, so lang und ausführlich!
Liebe Grüße für das ganze Team
Carola Herrmann
Es war mir ein Vergnügen!
Liebe Grüße
Antje