Aktualisiert am 26. Oktober 2022 von Antje Tomfohrde
„Sobald sie drin war, wollte Delaney die Maschinerie genau unter die Lupe nehmen, nach Schwachstellen suchen und den ganzen Laden in die Luft jagen. Sie würde den Konzern snowden, sie würde ihn manningen. Sie würde ihn ausspionieren und dann deep-throaten.“ Das ist das erklärte Ziel von Delaney Wells, die sich den Kampf gegen den Internetgiganten Every zum Lebensziel gemacht hat. Wird es ihr gelingen?
Wovon handelt das Buch?
„Der Circle“, ein Mischkonzern aus Google, Facebook, Apple und Twitter, macht das, was die meisten Konzerne meinen, tun zu müssen – er wächst und wächst und wächst und wird zu „Every“. In diesem Falle verleibt er sich unter anderem das erfolgreichste Online Versandhaus ein und kauft jede Woche mehrere vielversprechende Start-ups der digitalen Szene und wird so zu dem beliebtesten Monopol weltweit und gleichzeitig auch das bedrohlichste. Nur wenige versuchen sich dem zu widersetzen.
Delaney Wells durchläuft die einzelnen Bewerbungsstufen des größten Internetkonzerns der Welt, Every, und erhält einen Job dort und wird eine der Everyones, wie die Mitarbeiter:innen von Every genannt werden. Verwunderlich eigentlich, denn Delaney ist eigentlich Försterin und nicht das, was man als technikaffin bezeichnen kann. Sie will auch nicht bei Every arbeiten, weil es ihr größter Traum ist, sondern weil sie den Konzern von innen heraus zerstören will.
Sie ist ziemlich allein auf weiter Flur, einzig ihr Kumpel Wes Kavakian, ein nicht gerade ehrgeiziger Programmierer, steht an ihrer Seite im Kampf gegen das Internetimperium. Gemeinsam suchen sie nach Schwachstellen und Möglichkeiten, wie man das Unternehmen so schwächen kann, dass es den Kundinnen und Kunden endlich auffällt, dass Every einfach zu weit geht mit dem, was es tut, um die Menschheit zu manipulieren und zu kontrollieren.
Delaney durchläuft bei Every in einem Job Rotation Programm so ziemlich jede Abteilung, um herauszufinden, wo sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen könnte. Auch ihr Mitstreiter Wes bekommt durch Zufall einen Job bei Every, so dass es gut für die Ziele der beiden aussieht.
Im Laufe des Buchs zieht Delaney auf das Every Gelände, das auf Treasure Island liegt, um noch näher am Geschehen dran zu sein und ihre Fäden weiterzuspinnen. So kommt sie immer näher an die Mächtigen bei Every heran…
Mein Leseeindruck von „Every“
„Every“ beginnt ähnlich wie „Der Circle“: eine junge Frau fängt bei dem Internetmonopolisten an. Doch ist es bei Delaney Wells nicht das große Glücksgefühl, das sie leitet wie bei Mae Holland, sondern ihr Kampf gegen diesen Konzern, der in ihren Augen das Leben so vieler Menschen und vor allem Kinder zerstört hat. Um dies zu beenden, wird sie eine Everyone, eine Mitarbeiterin des Unternehmens, dass sie hasst.
Every ist das Nachfolgeunternehmen vom Circle und wurde so unbenannt, nachdem es den dschungel, das erfolgreichste Internetversandhaus der Welt, gekauft hatte. Dadurch wurde das Unternehmen noch mächtiger und konnte über noch mehr Menschen die Kontrolle übernehmen. Hiergegen kämpft Delaney, da ihr selbst so viel genommen wurde durch die stetige Kontrolle durch diesen Konzern.
Das Motiv, das Dave Eggers seiner Protagonisten gegeben hat, ist gut nachvollziehbar und es ist auch schlüssig, dass sie diesen Feldzug gegen die Maschinerie Every von sehr langer Hand geplant hat. Ihr nerdiger Programmiererfreund Wes passt auch gut ins Bild und auch die anderen Figuren in dieser Geschichte sind gut angelegt. Die Everyones leben so sehr in ihrem kleinen Paradies, dass sie für die Wirklichkeit teilweise gar nicht mehr empfänglich sind und es gibt Szenen in diesem Buch, die das sehr klar machen und auch wieder uns, als Leser:innen einen Spiegel vorhalten.
Wir geben auch bereitwillig Daten in Hände von Unternehmen, denen wir sie vielleicht besser nicht geben sollten bzw. hinterfragen oftmals Dinge nicht genug. Es ist eindeutig auch Kritik an uns als Gesellschaft und an den großen Konzernen, den Datenraupen, wobei Raupe in den meisten Fällen noch viel zu niedlich ausgedrückt ist. Ich habe dieses Buch natürlich auch unter diesem Gesichtspunkt gelesen. Wie sehr liefern wir uns selbst den Algorithmen aus und lassen uns davon beeinflussen? Es passt zur aktuellen Diskussion.
Gleichzeitig ist es auch wieder gute Unterhaltung, es ist ein bisschen abgedrehter als in „Der Circle“, überspitzter, was mir allerdings besser gefallen hat. Der Begriff „Everyone“ sagt schon soviel aus und dann dieses Verlangen der Everyones ganz besonders en vogue zu sein. Die Szenen mit den eng anliegenden Lycraanzügen auf dem Firmengelände haben schon etwas von Slapstick oder dieses Verlangen danach, alles ganz politisch korrekt zu machen. Es ist teilweise eine Persiflage auf uns und was passiert, wenn man nur in einer einzigen Filterblase lebt – übrigens egal, ob on- oder offline. Denn die Menschen, die in diesem Buch offline leben, tun das natürlich auch ganz extrem. Ein Abbild der Gesellschaft, in der wir leben, es gibt mehr Extreme und weniger gesundes Mittelmaß.
Ganz nah an der Realität ist es an einer Stelle, wo es um die Obdachlosen geht, die auch auf Treasure Island leben. Die Ähnlichkeit mit existierenden Konzernen ist vermutlich voll beabsichtigt.
Das Ende hält noch eine kleine Überraschung parat oder eigentlich nicht, aber lies selbst und bilde dir selbst eine Meinung dazu. Mir hat „Every“ noch ein bisschen besser als „Der Circle“ gefallen, auch wenn es teilweise sehr albern wirkte, aber genau das passt zu diesem Buch, zu diesem Konzern und es hält so besser den Spiegel vor. Für mich war es hauptsächlich ein Buch zur Unterhaltung und nicht komplett als Kritik an unserer Gesellschaft. Wenn es darum ginge, wäre es mir zu einseitig, wir lassen uns alle zu sehr leben und hinterfragen zu wenig und nehmen vieles einfach hin.
Das Buch hat mich durch eine gute erzählte Geschichte, Wortwitz und wirklich überzogene Darstellungen völlig bekloppter Ideen, die erschreckenderweise vermutlich wirklich funktionieren würden, überzeugt. Interessant ist auch die Tatsache, dass das Buch 578 Seiten hat. Was es damit auf sich hat? Lest selbst, mich hat es auf jeden Fall zum Kichern gebracht.
Erzähl gerne, was dein Eindruck von „Every“ war und lass einen Kommentar hier.
Autor: Dave Eggers
Übersetzer:innen: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag: Verlag Kiepenheuer & Witsch
Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-462-00112-9
PS: Mein Buch wurde mir vom Verlag Kiepenheuer & Witsch als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank hierfür!
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Falls du wissen möchtest, wie es zu „Every“ gekommen ist, empfehle ich dir „Der Circle“ zu lesen. Hier erzählt Dave Eggers aus der Anfangszeit des Circle.