Aktualisiert am 4. Januar 2022 von Antje Tomfohrde
Was wäre, wenn jeder nach seinem Intelligenz- und Einkommensquotienten beurteilt würde, nach seinem Q-Wert? Ein Wert, der genau bestimmt, welchen Wert man dadurch in der Gesellschaft hat. Nur Tests würden bestimmen, auf welche Schule es geht, auf welche Uni, welche Ausbildung man machen kann, ohne dass es möglich ist, dies zu beeinflussen. In eine solch dystopische Welt bringt uns Christina Dalcher mit „Q In dieser Welt ist Perfektion alles“.
Worum geht es in dem Buch?
In einer nicht ganz so fernen Zukunft wurde in den Vereinigten Staaten ein System eingeführt, dass jeder Bürgerin und jedem Bürger seinen Platz in der Gesellschaft zuweist, in dem der sogenannte Q-Wert gemessen wird. Dieser Wert setzt sich aus gemessener Intelligenz und Einkommen zusammen und wird regelmäßig durch Tests kontrolliert. Je höher dieser Wert ist, desto besser sind die Chancen auf Bildung und zukünftiges Einkommen.
Fällt der Wert niedriger aus, führt der Weg nach unten, von einer „silbernen“ Eliteschule zu einer „grünen“ Schule und wenn der Testwert noch weiter sinkt, führt der Weg zu einer „gelben Schule“, von denen niemand genau weiß, wo sie sind und was mit den Kindern passiert, die abgeholt werden, um zu einer solchen Schule gebracht zu werden. Den Eltern wird erzählt, dass die Kinder an diesen Staatsschulen eine besondere Förderung bekommen würden.
Oberflächlich betrachtet ist bei Elena alles in Ordnung, sie selbst unterrichtet an einer Eliteschule, die große Tochter Anne liefert guten Noten, ihr Ehemann Malcolm hat eine wichtige Rolle bei der Einführung des Q-Wertes gespielt. Einzig ihre Tochter Freddie fällt aus der Heile-Welt-Rolle und geht auf eine grüne Schule und leidet unsäglich unter dem Druck der monatlichen Tests. Aber ihre Mutter bereitet sie jeden Monat auf den Test vor.
…Manchmal habe ich das Gefühl, dass es keine Kindheit mehr gibt.Q In dieser Welt ist Perfektion alles, Christina Dalcher
Dann passiert das, was nicht passieren darf, Freddie fällt unter den Wert, der ihr noch ermöglichen würde, weiter auf der grünen Schule zu bleiben.
Ab diesem Tag wird alles anders für Elena und Freddie. Niemand weiß genau, was mit den Kindern passiert, die abgeholt werden, um auf eine sogenannte „gelbe“ Schule geschickt zu werden. Sie dürfen ihre Eltern nur an einigen wenigen Tagen im Jahr sehen. Für Elena ist dies der Auslöser, ihr komplettes bisheriges Leben in Frage zu stellen. Die Vorstellung, ihr Kind in fremde Hände geben zu müssen, ohne regelmäßig Kontakt zu haben und zu wissen, was mit ihr gemacht wird, ist unerträglich für sie und sie setzt alles aufs Spiel, um bei Freddie zu bleiben und sie da herauszuholen.
Wie hat mir „Q In dieser Welt ist Perfektion alles“ gefallen?
Das Buch habe ich verschlungen, es war unglaublich spannend und unsagbar schrecklich zugleich. Wobei nicht das Buch oder der Stil schrecklich waren, sondern die Geschichte. Diese Angst der Eltern, dass die Kinder es im nächsten Monat nicht schaffen, den Test zu bestehen und ein Schulwechsel nötig ist, der auch gleichzeitig sozialen Abstieg bedeutet. Alles ist nur noch auf die schulische Leistung fixiert und darauf, diesen bestimmten Wert zu halten.
Klar, so etwas gibt es auch jetzt schon, aber das in dem Buch beschriebene System geht weit darüber hinaus. Es hat relativ harmlos begonnen und wird dann immer mehr ausgeweitet bzw. greift auf etwas zurück, dass es schon einmal gegeben hat und nicht nur im dritten Reich. Menschen werden als weniger wichtig herabgestuft, als unnütz für die Gesellschaft und es werden ihnen schreckliche Dinge angetan und die breite Masse unterstützt es. Alles schon einmal dagewesen und es wird mit Angst gearbeitet, um die breite Masse zu kontrollieren.
Und genau das ist das Perfide all dieser Systeme. Solange man im Rahmen bleibt, schaut niemand über seinen Tellerrand und ist froh, dass es für ihn oder für sie funktioniert. Sobald man aus dem Rahmen fällt, wird der Blick nach rechts und links gerichtet und meist steht man dann allein da, denn die anderen bleiben im System und werden nichts zur Unterstützung tun. Nur die, die aus dem System gefallen sind, helfen sich untereinander, wenn sie es überhaupt können und sie noch nicht gebrochen wurden.
Dies ist auch in diesem Buch so und es ist ein geschickter Schachzug, dass Christina Dalcher ihre Hauptperson, Elena Fairchild, so ausgewählt hat, dass sie nicht nur eine Mitläuferin des Systems ist, sondern dass sie ganz nah dran ist. Denn zum einen ist ihr Ehemann Malcolm mit für die Einführung dieses Wertesystems verantwortlich und zum anderen ist sie nicht ganz unschuldig daran, dass er so weit gegangen ist. Dies wird im Laufe der Geschichte klar und macht das Ganze noch spannender (siehe S. 351).
Als Gegenentwurf zu Malcolm und dem Q-Wert gibt es Elenas Eltern und ihre Großmutter, die aus Deutschland gekommen sind und ihr eigenes Päckchen zu tragen haben, was natürlich eng mit dem dritten Reich verbunden ist. All dies und die unsägliche Mutterliebe Elenas machen dieses Buch aus. Elena kämpft wie eine Löwin um ihre Tochter und das macht das Buch auch so packend für mich.
Ich hatte das Buch mit in der Badewanne und bin erst nach zwei Stunden aus dem mittlerweile kalten Wasser gekommen, weil ich es unbedingt zu Ende lesen wollte und nicht aufhören konnte. Es hat mich wahrlich gefesselt und es ist vermutlich auch eine gute Filmvorlage, was ich mir nicht bei allen Büchern vorstellen kann, hierbei schon.
Autorin: Christina Dalcher
Übersetzerin: Michaela Grabinger
Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
Erschienen: 2021 (deutschsprachige Ausgabe)
ISBN: 978-3-596-70453-8
Mein eBook ist ein kostenloses Rezensionsexemplar, welches mir vom S. Fischer Verlag über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür!
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Wenn dir „Q In dieser Welt ist Perfektion alles“ gefallen hat, könnte „88 Namen“ von Matt Ruff etwas für dich sein. Spannung in einer nahen Zukunft in der Welt der Gamer.