Aktualisiert am 7. August 2024 von Antje Tomfohrde
Ewig Sommer – was für manche von uns wie ein Versprechen klingt, ist bei Franziska Gänsler ein Schwelbrand unter der Oberfläche, ein Symbol für etwas ganz Anderes.
Worum geht es in dem Buch?
Die Saison ist längst vorbei bzw. durch die andauernde Gefahrenlage durch die Brände beendet worden, als eine junge Frau mit ihrem Kind bei Iris im Hotel auftaucht und nach einer Bleibe für die Nacht fragt. Aus einer Nacht wird eine weitere und Iris kommt näher an die Mutter-Kind-Familie heran.
„Etwas Nervöses ging von ihr aus. Ihre Zehen und Mundwinkel schienen unter konstanter Spannung zu stehen, mussten bewegt werden. Sie schabte mit dem Zeigefinger über den Daumennagel, griff ins Nichts, drehte die Handgelenke.“
– Aus „Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler
Die beiden Frauen nähern sich an und Iris merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Doch was das ist, weiß sie nicht genau. Die Anwesenheit der beiden weckt in ihr alte Erinnerungen.
Parallel herrscht immer Angst vor den Bränden oder besser der Wunsch, dass die Brände endlich aufhören, ein Leben in der Realität der Klimakrise.
„Der ewige Sommer verstärkte nicht nur meine Angst vor den Bränden, sondern auch meine Ratlosigkeit. An Feuer im Juli und August hatte ich mich gewöhnt, doch nun warteten wir schon seit Mitte September darauf, dass die Erde wieder feucht wurde und die Luft klarer.“
– Aus „Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler
Iris weiß mittlerweile, dass eine Gefahr droht, doch nicht welche und aus welcher Richtung sie kommt.
Wie hat mir „Ewig Sommer“ gefallen?
Dieses Buch habe ich mit Michaela Frankenberger gelesen, d. h. zunächst einmal haben wir das Buch gemeinsam ausgesucht und dann an vier Tagen in ungefähr gleich langen Abschnitten gelesen und uns intensiv dazu ausgetauscht.
Franziska Gänsler hat mich gleich auf den ersten Seiten mit ihrer Geschichte eingefangen und ich wollte immer nur weiter lesen. „Ewig Sommer“ beginnt mit einer unterschwelligen Spannung, eine Spannung, bei der von Anfang an klar ist, das noch etwas passieren wird.
„Die Frau und das Kind kamen an einem Dienstag. Seit Wochen waren da bereits keine Gäste mehr bei mir abgestiegen. Wegen der andauernden Gefahrenlage waren die Messen abgesagt oder verlegt worden, und andere Gründe, in unsere Gegend zu kommen, gab es anscheinend nicht mehr.
– Aus „Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler
Eine Fremde kommt in ein Gefahrengebiet, in das sich seit Wochen niemand mehr verirrt hat. Diese Fremde hat die Ausweispapiere nicht sofort griffbereit und im Hintergrund ist immer das Feuer als fortwährende Bedrohung. Es ist nicht direkt da, aber der Rauch, die Rauchpartikel, es ist eine schwelende Bedrohung, passend zum Verhalten der jungen Frau.
Man merkt aber auch, dass die Gesellschaft Iris gut tut. Sie öffnet sich und beginnt über ihr Leben nachzudenken, warum sie und ihre Nachbarin Baby noch im Ort sind und was mit ihrer Mutter passiert ist.
Kaum hat man das Gefühl, dass die Geschichte vor sich hinplätschert, legt die Autorin noch einen Scheit ins Feuer und erhöht die Spannung, in dem sie die Bedrohung realer werden lässt.
Das ist das, was mich fasziniert hat an dem Buch. Das Feuer ist stellvertretend für die eigentliche Geschichte. Erst ist es nur unterschwellig da und je bedrohlicher die Situation für die Mutter wird, je tiefer Iris sich in die eigene Familiengeschichte wagt, desto höher lodern die Flammen.
„Es war mir, als würde ich auf einem Feld stehen. Sehend, dass bald ein Sturm alles um herum erfassen würde. Aber noch waren es nur die Ähren, die der Wind bewegte, nur die Wolken, die sich zusammenzogen. Noch blieben wir.“
– Aus „Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler
Es gibt im Buch noch eine weitere Erzählebene. Im Wald gibt es eine Camp von Klimaktivist*innen, die auf die Einhaltung der 1,8-Grad-Grenze aufmerksam machen. Die Parallele zu ähnlichen Camps und Protesten ist sofort klar, die Bilder aus Lützerath erscheinen sofort im Kopf. Die Klimakrise ist im Buch schon Realität, sie ist angekommen und gleichzeitig wird deutlich, wie damit umgegangen wird, es gibt ihn nicht, den großen Ruck, der durch die Gesellschaft geht, was erschreckend ist. Doch die Klimaaktivist*innen haben noch Hoffnung, dass sie etwas bewegen können.
„Dass von diesen Mädchen, von ihren Mitstreitern, eine Bewegung ausging, die mehr umfasste als die Situation in unserem Wald. Geschlechterverständnisse, Konsum, Selbstverantwortung, Sexualität, soziale Strukturen. Die beiden betrachteten diese Themen wie selbstverständlich aus einem Blickwinkel, den ich bisher nicht in Betracht gezogen hatte.“
– Aus „Ewig Sommer“ von Franziska Gänsler
Auch dieser Erzählstrang dient zur Verstärkung der Hauptgeschichte, was am Ende klar wird. Es ist ein ganz überraschendes Ende, erleuchtend und wie ein Schlag in die Magengegend gleichzeitig. Was für ein Buch!
Autorin: Franziska Gänsler
Erscheinungsdatum: 19. Juli 2022
Verlag: Kein & Aber Verlag
ISBN: 978-3-0369-6175-0
PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich verlinke auf die Hohenlimburger Buchhandlung. Es ist die Buchhandlung hier vor Ort und verlinke einfach dorthin, weil es meine Stammbuchhandlung ist. Dort kann auch online bestellt werden, was auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Händlern ist. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Michaelas Rezension findest du auf Instagram.
Ein Buch, dass zu „Ewig Sommer“ passt, ist „Der Anfang von morgen“ von Jens Liljestrand. Das Buch ist brachialer, im Ausmaß der Waldbrände und auch im Zwischenmenschlichen. Während „Ewig Sommer“ ganz fein gezeichnet wurde, ist „Der Anfang von morgen“ mit einem dicken Kohlestift gemalt worden.