Content von Elias Hirschl

Auf dem Bild ist das Buchcover von "Content" von Elias Hirschl auf einer hellen, holzähnlichen Oberfläche abgebildet. Das Bild dient als Header für den Blogbeitrag mit der Rezension des Buchs.

Aktualisiert am 10. März 2024 von Antje Tomfohrde

Als ich die Beschreibung von „Content“ gelesen hatte, musste ich es lesen. Menschen, die unnütze Inhalte im Netz veröffentlichen, Inhalte am Fließband produzieren, die mit Titeln versehen werden wie „10 Uhrzeiten, zu denen du noch nie auf die Uhr geschaut hast“, während parallel die Welt untergeht. Das klang schräg, hat irgendwie mit den vielen Vorurteilen, die über meinen Job existieren, zu tun und es hörte sich unterhaltsam an. Konnte es meine nicht geringen Erwartungen erfüllen?

Worum geht es in „Content“?

Die Protagonistin in „Content“ arbeitet in einem alten Zechengebäude in der Content-Farm Smile Smile Inc. und schreibt Tag für Tag sinnbefreite Listicles, also Listen, die mit so viel versprechenden Titeln wie „10 Gesteinsarten, die besser schmecken als ihr Ruf“ oder „Diese 6 Tipps lassen ihre Nasenhaare besser duften“ zum Anklicken verführen sollen. Ihre Kolleginnen und Kollegen produzieren nicht weniger unnütze Videos, in denen alte Nokia 3310 in einem Mixer geschreddert werden oder Kuchen gezeigt werden, die wie Alltagsgegenstände aussehen oder sind es Alltagsgegenstände, die wie Kuchenaussehen?

Ein Listicle verhält sich zum seriösen Journalismus wie ein McDonald’s-Koch zu einem Gourmet-Chef. Wie Fließbandarbeit, nur mit noch mehr Rückenproblemen. <span class="su-quote-cite">Content, Elias Hirschl</span>

Ihre Kollegin Karin bekommt einen verschärften Burn-out und die Heldin des Buches kümmert sich um sie, zieht erst bei ihr ein und übernimmt immer mehr ihrer Lebensgewohnheiten, während Karin sich ganz anders entwickelt. Ab und an trifft sie sich mit Jonas, der Start-ups gründet wie andere ihre Unterhosen wechseln und zu jedem neuen Start-up die passende persönliche Geschichte erzählt. Dann gibt es noch einen Journalisten, Identitätsdiebstahl und ein großes Geheimnis, während gleichzeitig im wahrsten Sinne alles um sie herum absäuft.

Wir setzen in erster Linie auf eine flache Firmenhierarchie und ein Open-Space-Konzept, sagt Jonas und zeigt auf Mitarbeiter in Anoraks, die im eisigen Dezemberwind auf einer verrosteten Motorhaube Tischtennis spielen.<span class="su-quote-cite">Content, Elias Hirschl</span>

Wie hat mir das Buch gefallen?

Elias Hirschl übertreibt, aber übertreibt er wirklich maßlos? Beim Lesen des Buches musste ich an diese Orte in Asien denken, wo eine Content-Producerin neben der anderen mit ihrem Ringlicht sitzt oder natürlich an die ganzen Menschen, die die ultimativen Tipps für die besten ChatGPT-Prompts für das geilste Marketing ever raushauen. Im Augenblick vergeht ja kein Tag, an dem nicht über die wahnsinnigen Erleichterungen, die der Einsatz von KI mit sich bringen wird, geschrieben wird.

Es wird der Tag kommen, an dem das Internet autark wird, an dem es keine Informationen von außen mehr benötigt, keine Fotos, keine Sprachnachrichten, keine Videoaufnahmen. Und alles, was übrig bleibt, ist eine endlose Reihe zunehmend verpixelter, rauschender Datencollagen, die sich bis in die Unendlichkeit fortsetzt. <span class="su-quote-cite">Content, Elias Hirschl</span>

Mit „Content“ führt Elias Hirschl das Ganze ad absurdum bzw. beschreibt teilweise sogar die Realität. Das Programmieren von Bots, die u. a. Twitter fluten oder die Nutzung künstlicher Intelligenz, um einfach nicht mehr selbst unnütze Inhalte zu schreiben, ist nicht ganz fern der Wirklichkeit. An manchen Stellen blieb mir das Lachen im Halse stecken und an manchen Stellen musste ich einfach schallend lachen, weil Hirschl es schafft, diese ganze Start-up Szene so zu überzeichnen und auch die Content-Creator von hippem Video-Content auf die Schippe zu nehmen.

Ich teile die Listen auf verschiedene E-Mails auf, time sie auf die nächsten paar Monate verteilt und habe den Rest des Jahres frei.<span class="su-quote-cite">Content, Elias Hirschl</span>

Es ist böse, gesellschaftskritisch und bissig-witzig und spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft in einer Landschaft, die dem Ruhrgebiet verdammt ähnlich ist, was auch. Das hat noch einmal einen ganz besonderen Charme, wohne ich doch in der Nähe und erfreue mich regelmäßig an den schicken Ausstellungshallen wie Phoenix West in Dortmund, wo jetzt immersive Kunst gezeigt wird.

Zwischendurch driftet das Buch noch einmal komplett ab, als sich die Protagonistin daran macht, den dicken, roten Kabeln bei Smile Smile Inc. in den Keller zu folgen. Da wird es sehr schräg, so dass man nicht weiß, ob das nicht gerade ein LSD-Tripp beschrieben wird. Und ich mag ja bekanntlich so schräge Bücher.

„Content“ ist nicht nur lustig, es zeigt auch auf erschreckende Art, wie es in der heutigen Welt möglich ist, komplett isoliert zu leben. Je nach Arbeit können wir 24/7 in unserem Zuhause bleiben. Das Essen wird geliefert, Kleidung und anderes wird geliefert, der Kontakt nach außen kann per Telefon (okay, das ist jetzt meinem Alter geschuldet, dass ich das aufliste), Videotools oder Messenger- und Social-Media-Diensten aufrechtgehalten werden. Wenn wir wollen, können wir uns völlig einigeln und haben keinen Kontakt mehr zur Außenwelt und bekommen gar nicht mehr mit, was um uns herum passiert.

Das Buch ist überzogen und doch ist es erschreckend, dass zum Beispiel die Entwicklung Twitters zu X das Buch während seiner Entstehung rechts überholt hat. „Content“ macht, was gute Satire ausmacht, es verabreicht den erschreckenden Schluck Realität in einem mit Humor angereicherten Cocktail.

Meine nicht geringen Erwartungen konnte „Content“ also voll erfüllen, allein schon deshalb, weil es sehr humorvoll und ein wenig bissig-böse mit den Macken der digitalen Marketing-Maschinerie und dem KI-Hype umgeht. Also, von mir gibt’s eine Leseempfehlung!

Informationen zum Buch
Buchtitel: Content
Autor: Elias Hirschl
Erscheinungsdatum: 29.01.2024
Verlag: Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-07386-9

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom Hanser Verlag über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Herzlichen Dank hierfür!

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Wenn dich „Content“ anspricht, dann könnte auch „Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub“ von Roman Markus etwas für dich sein. Ein Wenderoman mit einem ganz besonderen Humor.

2 Kommentare

  1. Liebe Antje,

    ich bin schon gespannt was du bei unserer nächsten Aufnahme im Podcast noch alles über das Buch erzählst! Ich hab deine Rezension in meinem neusten Artikel verlinkt. Darin geht es um meinen Lesesommer 2024 und auf dieser Liste ist auch das Buch „Content“ zu finden.

    Bis bald,
    Valerie

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