Vereinbarkeit – Ava liebt noch von Vera Zischke

Auf dem Bild ist das Buch Ava liebt noch von Vera Zischke auf einer hellen, holzähnlichen Oberfläche.

Aktualisiert am 16. Februar 2025 von Antje Tomfohrde

Ein Liebesroman? Im Ernst jetzt? Tja, es gibt solche und solche. Und „Ava liebt noch“ von Vera Zischke ist kein typischer Liebesroman, es geht um viel mehr als Herz und Schmerz und rosarote Herzchenwölkchen.

Worum geht es im Buch?

Ava ist 43, Mutter von drei Kinder und hält ihrem Mann Ralf den Rücken frei, damit er als Anwalt erfolgreich sein kann. Soweit so gut – nein, es ist nicht gut, Ava ist dabei auf der Strecke geblieben. Sie existiert nur als Mutter und Erledigungsroboter, ihre eigenen Träume und Wünsche sind irgendwo auf der Strecke geblieben.

„Ich bin dreiundvierzig und weiß nichts über mich. Als wäre ich mit der Geburt meines ersten Kindes eingefroren.“

– Aus „Ava liebt noch“ von Vera Zischke

Während eines ihrer üblichen Supermarkteinkäufe trifft sie den um einiges jüngeren Kieran, der dort Regale einräumt. Danach ist sie wie ausgewechselt, sie hat etwas entdeckt, dass sie schon seit so langer Zeit nicht mehr gefühlt hat: „Ich bin hingerissen von dem Gefühl, von jemandem hingerissen zu sein.“ Ava hat allerdings nicht das Bedürfnis, Kontakt mit ihm aufzunehmen, sie will einfach nur dieses Gefühl genießen.

Doch es bleibt nicht so. Ihre Tochter Mia lernt schwimmen und zufälligerweise ist Kieran der Schwimmlehrer. Als Mia beinahe ertrinkt, fasst Ava den Entschluss, schwimmen zu lernen und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Denn natürlich ist Kieran auch derjenige, der Ava das Schwimmen beibringt und es kommt, wie es kommen muss. Aus „nur gucken“ wird mehr.

„An diesem Tag beginnt mein Leben. Ein anderes Leben. Und ich weiß: Bei all der Verzweiflung und all der Schuld, die ich auf mich lade, werde ich nie auch nur eine Sekunde davon bereuen.“

– Aus „Ava liebt noch“ von Vera Zischke

Doch es ist kein Groschenroman und es geht nicht endlos mit im Hintergrund spielenden Geigen weiter und löst sich in Wohlgefallen auf. Ralf kommt hinter die Beziehung zwischen Ava und Kieran und Ava muss sich entscheiden. Es ist keine einfache Entscheidung und sie ist auch noch nicht das Ende, denn an dieser Stelle fängt das Buch erst richtig an.

Wie hat mir „Ava liebt noch“ gefallen?

Meine Podcast-Kollegin Valerie hatte Vera zu uns in den Die Bücherstaplerinnen Podcast eingeladen, damit sie uns unter anderem darüber berichtet, wie so ein Erstlingswerk an den Verlag gebracht wird. Das fand ich spannend, war allerdings ein wenig skeptisch, da ich beim Stichwort „Liebesroman“ Angst hatte, dass mir das Buch nicht gefallen würde. Zum Glück war meine Skepsis völlig unbegründet, denn „Ava liebt noch“ ist viel mehr als „nur“ ein Liebesroman.

Es geht um patriarchale Strukturen, um den Wert von Care-Arbeit, eine Unterschätzung der Belastung durch Mental Load und darum die Balance zu finden, eine Frau mit eigenen Zielen und Bedürfnissen zu bleiben und trotzdem Mutter zu sein bzw. eine Familie zu sein mit zwei Partnern, die sich gleichberechtigt um die Kindererziehung kümmern. Es ist ja immer noch selbstverständlich, dass der Mann Karriere macht und die Frau sich um den Rest kümmert. Ist ja auch nicht so anstrengend, einkaufen, Elternabend, spielen, putzen, waschen und wenn die Kinder alt genug sind, hat frau frei und kann sich morgens erholen.

Was natürlich Quatsch ist. Und das arbeitet Vera in ihrem Roman heraus. Es gab nie diese Vereinbarung zwischen Ralf und Ava, für Ralf war es irgendwie selbstverständlich, weil er ja auch als Anwalt eine großartige Karriere vor sich hatte und Ava weniger verdiente.

Und das ist so wichtig, nicht zu vergessen, was wir wollen und das auch zu besprechen, auszuhandeln und auch als Gesellschaft dies zu unterstützen und nicht nur halbherzig betonen, wie schön es ist, wenn Männer jetzt zwei Monate Elternzeit nehmen und den Hauptteil der Care-Arbeit weiterhin die Frauen machen zu lassen. Und das in einer Zeit, wo es nicht mehr die Großfamilie gibt, sondern die meisten Familien allein auf sich gestellt sind in einer Gesellschaft, die Kinder nicht mehr selbstverständlich in den Tagesablauf integriert. Es wird nicht zugestanden, müde zu sein und noch etwas anderes zusätzlich zu den Kindern zu wollen.

„Das Problem waren nie die Kinder. Das Problem war die Erschöpfung.“

Aus „Ava liebt noch“ von Vera Zischke

„Ava liebt noch“ hat wirklich viel in mir an Gedanken ausgelöst. Wie weit sind wir als Gesellschaft?

Diese Frage stellt sich auch, wenn ich daran denke, was für ein Skandal es immer noch ist, wenn sich eine Frau wie Ava sich in einen so jungen Mann wie Kieran verliebt. Es ist shocking und wenn ein alter Mann eine 19-jährige Freundin hat, ist das normal.

Im Buch selbst geht es weiter, denn Ava kann nicht mehr komplett zurück und das ist gut so. Sie befreit sich auf der beruflichen Ebene und schaltet nicht wieder in den Robotermodus zurück. Das ist auch etwas, was wichtig ist für gute Beziehungen und eine fortschrittliche Gesellschaften. Beide Partner sind nicht nur Eltern, sondern auch noch die, die sie vor den Kindern waren und das ist gut so, auch für die Kinder.

„Ich will mich abschalten, in den Stand-by-Modus gehen. Ich habe es schon einmal geschafft, ich müsste noch wissen, wie es geht. Wie man sich ganz kleinmacht und einfach funktioniert. Aber es will mir nicht mehr gelingen. Ich habe eine Tür geöffnet und bekomme sie nicht mehr zu.“

Aus „Ava liebt noch“ von Vera Zischke

Im Buch wird die Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt, zum einen aus Avas und zum anderen aus Kierans. Wir erfahren, was in Kieran vor sich geht, wie er sich entwickelt und vor allem, was er empfindet. Das ist eine wunderbare Art, dieses Buch zu lesen, denn dadurch wird die Geschichte, die Liebe, die Wut, die Verletzlichkeit viel intensiver, es ist eine Rundum-Innenansicht, den Vera hier liefert.

Wir erleben beim Lesen nicht nur mit, wie sich Avas familiäre Situation ändert, sondern auch wie Kieran älter wird. Es sind die menschlichen Unwägbarkeiten, die Zufälle des Lebens, die dieses Buch so besonders machen. Vera Zischke gelingt es, die Geschichte einer Liebe in ein Setting zu platzieren, das realistisch ist und es – bis auf die Liebesgeschichte – häufiger als wir meinen – gibt.

Auch sprachlich hat mich Vera voll abgeholt. Es ist nichts Künstliches daran. Sie schreibt so, wie vermutlich viele denken. Ihre Sprache ist immer der Situation angemessen und ich kann mich darin wiedererkennen.

„Ava liebt noch“ habe ich schon zweimal gelesen und das will bei mir etwas heißen, denn so richtig viele gute Liebesgeschichten kenne ich nicht. Es ist die Kombination aus (Liebes-)Geschichte und Gesellschaftskritik, die das Buch für mich so gut machen. Vera Zischke gelingt es, den Balanceakt der Vereinbarkeit eines eigenständigen Lebens als Frau und Mutter zu beschreiben, ohne dass frau sich selbst dabei verliert.

Zur Autorin:

Vera Zischke ist Jahrgang 1980, wurde im Rheinland geboren und arbeitet und lebt jetzt als Journalistin im Ruhrgebiet. Auch sie hat drei Kinder und kennt den Ritt zwischen den Welten, die Herausforderung, verschiedene Rollen auszufüllen und sich dabei selbst nicht zu verlieren. Im Augenblick schreibt sie an ihrem zweiten Roman und es lohnt sich, ihr auf Instagram zu folgen. Dort nimmt sie uns mit in die mehr oder weniger glamouröse Welt des Autorinnenlebens.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Ava liebt noch
Autor: Vera Zischke
Erscheinungsdatum: 01.08.2024
Verlag: List Verlag
ISBN: 978-3-471-36078-1

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das mir über den List Verlag und Vera Zischke zur Verfügung gestellt wurde. Vielen Dank dafür und vielen Dank an Vera für diese wunderbare Podcast-Folge mit dir! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Die Podcast-Folge des Die Bücherstaplerinnen Podcasts von Valerie Wagner und mir im Gespräch mit Vera Zischke findest du zum Beispiel auf Spotify oder Apple Podcasts.

Ein sehr cooles Add-on zum Buch ist Ava & Kierans Playlist auf Spotify.

„Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl passt hervorragend zu „Ava liebt noch“. Auch in Fallwickls Buch geht es um patriarchale Strukturen.

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