Aktualisiert am 10. Oktober 2024 von Antje Tomfohrde
„Wohnverwandtschaften“ ist der dritte Roman von Isabel Bogdan. Worum es darin geht und wie er mir gefallen hat, erzähle ich hier.
Worum geht es in dem Roman?
Constanze hat sich von Flo getrennt und zieht als „die Neue“ in die eingespielte Wohngemeinschaft von Jörg, Anke und Murat ein. Jörg ist bereits in Rente, Witwer und ihm gehört die Wohnung in Hamburg. Er möchte demnächst mit seinem Bulli nach Georgien reisen, da kommt eine weitere Untermieterin gerade recht.
Anke ist Schauspielerin, Ü50 und hofft darauf, dass das nächste Casting endlich wieder eine Rolle bringt. Ihrem Freund Tobi, auch Schauspieler, geht es besser, er startet gerade voll durch und bekommt eine gute Rolle nach der anderen.
Murat ist der emotionale Anker der WG. Er kocht für alle, hat immer ein nettes Wort und ist da, wenn man ihn braucht. So ist es nicht verwunderlich, dass er es war, der Constanze angeschleppt hat als neue Mitbewohnerin.
„Muss gerade an Constanze denken, am Anfang war ich nicht sicher, ob sie ein Treffer ist oder ob wir für sie ein Treffer sind, aber jetzt fürchte ich den Tag, an dem sie eine Wohnung findet. Sie soll bleiben, sie ist gut für uns alle, sie bringt hier und da ein bisschen Struktur rein, und selbst Anke findet sie gar nicht mehr so spießig, glaube ich.“
– Aus „Wohnverwandtschaften“ von Isabel Bogdan
Die Neue, Constanze, ist Zahnärztin und zieht zum Übergang in die Wohngemeinschaft. Eigentlich möchte sie gerade ihre Ruhe und sich von der Beziehung mit Flo erholen.
So nach und nach lebt sie sich ein und nach einem kleinem Knirschen ist es ein angenehmes Zusammenleben mit den anderen. Man kümmert sich und nimmt teil am Leben der anderen.
Und dann kommt Jörg mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus und danach ändert sich langsam aber sicher so einiges im Leben der Wohngemeinschaft.
Wie hat mir „Wohnverwandtschaften“ gefallen?
Nach den ersten paar Seiten war meine große Befürchtung, dass es ein vor sich hinplätschernder Wohlfühlroman wird. Das ist es nicht geworden, so viel sei hier schon mal gesagt. Isabel Bogdan nimmt sich die Zeit, das Beziehungsgefüge innerhalb der Wohngemeinschaft aufzubauen. Man lernt langsam die einzelnen Charaktere kennen. Hier lässt sie jede einzelne Person ein Stück in der Ich-Form erzählen. Dadurch braucht es etwas, um hineinzukommen in die Geschichte.
Gleichzeitig ist es eine gute Wahl, die Geschichte so zu erzählen, denn so bekommt man Einblick in die unterschiedlichen Gedanken und Gefühle der einzelnen Personen. Wie empfinden sie sich gegenseitig? Sind sie alle so, wie die anderen sie wahrnehmen oder gibt es etwas, was sie einander nicht sagen? Gerade am Ende des Buches werden diese Ich-Berichte immer wichtiger.
Einer meiner Lieblingscharaktere ist Murat. Er ist so ein angenehm angelegter Protagonist, mit sich im Reinen und das merkt man ihm an. So ein Mensch, dem es Freude bereitet, anderen eine Freude zu bereiten, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Aber er ist nicht nur der ewige Gute-Laune-Bär, Murat kann auch ernsthaft. Ich mag ihn, er beschreibt sich selbst als das Wasser, das den Teig geschmeidig hält.
Jörg ist nach seiner OP das Sorgenkind der WG, er war direkt nach der Operation sehr verwirrt und wird danach nicht wieder der Alte. Er vergisst immer mehr und die anderen machen sich so ihre Gedanken, schließlich ist er zwar schon im Rentenalter, aber noch unter 70. Die Befürchtungen bestätigen sich und es steht fest, dass Jörg nicht einfach nur vergesslich ist. Aus der Wohngemeinschaft wird eine Wahlverwandtschaft.
„Jörg wäre im Augenblick keine Hilfe, da immer noch total durch den Wind. So langsam kann das nicht mehr nur von der Narkose kommen, es ist zwar besser geworden, aber er ist ganz schön tüdelig. Besorgniserregend.“
– Aus „Wohnverwandtschaften“ von Isabel Bogdan
Jörgs Sohn Sebastian wohnt mit seiner Familie in Frankreich und so übernehmen erst einmal Murat, Anke und Constanze das Kümmern. Murat ist es auch, der irgendwann Alien anschleppt, weil seine Tante gestorben ist und sich niemand anders findet, der sich um den Hund kümmern kann. Am Anfang findet Jörg den Hund doof, später geht er noch lange Strecken mit ihm und die anderen sind froh, dass der Hund dabei ist.
Constanze, Murat, Anke – sie tun, was sie können, aber auch sie kommen an ihre Grenzen und haben ihre eigenen Lasten zu tragen.
Anke braucht endlich ein Engagement, um über die Runden zu kommen und sie möchte auch im Privaten wieder glücklich sein. Isabel Bogdan zeigt wie schwer es für Schauspielerinnen über 50 immer noch sein kann. Rollen sind nicht dick gesät. Nur wenige schaffen es, so bekannt zu sein, dass sie längere Durststrecken überstehen können. Und dann ist da noch ihr Freund Tobi, der aber irgendwie nur eine Gastrolle in ihrem Leben spielt und nie da ist.
„Ich bin über fünfzig. Ob ich noch jemals Hände auf der Haut spüren werde?“
– Aus „Wohnverwandtschaften“ von Isabel Bogdan
Alle gehen am Stock, auch Murat und Constanze, denn sie arbeiten ja Vollzeit und können Anke nicht viel abnehmen, was natürlich auch die Freundschaft belastet. Man leidet mit, wie sie dabei sein müssen, wir ihr Freund immer weniger wird. Gleichzeitig spürt man beim Lesen, wie viel Liebe da ist. Sie sind wie eine Familie und füreinander da. Es ist so, wie es in einer Familie sein sollte und oft nicht ist.
Es mag für die einen nach einer vielleicht nicht ganz realistischen Geschichte klingen, weil es schon recht harmonisch ist, es sind nette Menschen, die da miteinander leben, man wünscht sich genauso so eine Wohngemeinschaft, die so funktioniert. Und warum auch nicht? Wohngemeinschaften werden vermutlich immer beliebter werden auch unter älteren Erwachsenen. Wer von uns hat nicht schon mal darüber nachgedacht, wie es ist, mit Freunden später zusammenzuleben, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Freunde im gleichen Alter, solange es geht, macht man die „coolen“ Sachen und später kümmert man sich umeinander, teilt sich vielleicht die Pflege und nimmt so auch Last von den Schultern der Kinder.
Isabel Bogdan hat ein ernstes Thema gut aufbereitet und es ist trotzdem ein wenig Wohlfühllektüre, denn es ist dieses schöne Gefühl da, dass sich da Menschen auserwählt haben, die einander gut tun und auch in schlechten Zeiten da sind. Keine Angst, es trieft nicht vor Kitsch – man hat nur Lust, am Tisch zu sitzen und mit den anderen das leckere Essen von Murat zu essen, zu lachen und zu reden.
Das Buch erzählt eine Geschichte über Freundschaft, über eine Wohngemeinschaft, die wirklich zu einer Wohnverwandtschaft, zu einer Familie wird und sie spricht über das Thema Demenz. Was sind die kleinen Anzeichen? Wie lange geht man den Weg gemeinsam, was kann man tun, wie belastend ist es? „Wohnverwandtschaften“ ist ein liebevolles Buch.
Autorin: Isabel Bogdan
Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2024
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00419-9
PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom Verlag Kiepenheuer & Witsch zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich ganz herzlich! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Isabel Bogdan hat noch zwei weitere Romane gelesen, die ich auch beide gelesen habe. Da ist einmal „Der Pfau“ und „Laufen“. „Der Pfau“ spielt in Schottland und es geht – wie der Titel schon sagt – um einen Pfau. Dieser Pfau verschwindet plötzlich und es entspinnt sich eine interessante und lustige Geschichte. „Laufen“ handelt von einer Frau, die sich nach dem Tod ihres Partners im wahrsten Sinne wieder ins Leben läuft. Die Bücher wurden auch verfilmt, falls du sie dir lieber anschauen möchtest. Ich habe sie gerne gelesen.