Aktualisiert am 22. November 2024 von Antje Tomfohrde
von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Die Hütte brennt, unser Planet wird immer heißer und wir konsumieren immer noch, als ob es kein Morgen gäbe. Wenn wir so weitermachen, wird das mit der Zukunft auch immer unwahrscheinlicher. Wie kann also die große, träge Masse zu einem grüneren, nachhaltigeren Konsum motiviert werden?
Worum geht es im Buch?
Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann haben sich dazu in ihrem Buch „Das 60%-Potzenzial“ Gedanken gemacht. Wie einigen Marketern haben auch sie sich irgendwann die Frage gestellt, ob sie ihr Wissen nicht lieber dazu nutzen sollten, mehr Menschen zu nachhaltigerem Konsum zu motivieren anstatt die Erderwärmung weiter anzufeuern, indem sie weiter Werbung für nicht nachhaltigen Konsum machen. Schließlich ist nachhaltiger Konsum der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nach eigener Aussage wichtig.
Es ist also nicht das Wollen, woran die Umsetzung scheitert, sondern am tatsächlichen Verhalten, der Attitude-Behavior-Gap. Dies wird gleich an drei Beispielen erklärt, Fleischkonsum, Pkw-Zulassungen und viele Flugreisen. Man weiß, was richtig wäre, handelt aber nicht danach.
„Und da kommt die machtvolle Seite des Marketings ins Spiel. Marketing und Werbung sind in der Lage, Menschen zu verzaubern, ihre Sicht auf die Dinge in andere Bahnen zu lenken, sie zu begeistern und zu motivieren. Das ist eine große Macht, und es steht eigentlich nur die Frage im Raum, wofür wir diese Kraft einsetzen wollen. Für schwarzen oder für grünen Konsum?“
Aus „Das 60%-Potenzial“ von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Jetzt ist die Überlegung, wer denn für grünen Konsum begeistert werden kann und da werden drei Gruppen identifiziert. Einmal die Öko-Fans, die nicht mehr als Kund*innen gewonnen werden müssen, dann gibt es die Öko-Muffel, die eher absichtlich zu Produkten greifen, die nicht nachhaltig sind. Die können außen vor gelassen werden. Wer aber viel mehr in den Vordergrund rücken sollte, sind die Menschen, die im Buch die 60% genannt werden. Das sind die, die auf die grüne Seite des Konsums geholt werden können und darum dreht sich das Buch, denn wenn diese Gruppe ihren Konsum anpasst, ist das ein richtiger großer Hebel.
„Den Fokus auf die Mitte richten statt auf die Extreme – Weder bei den Öko-Fans noch den Öko-Muffeln handelt es sich um große Gruppen. Im Vergleich zur breiten Masse sind sie klein. Doch in den Medien wird wie gesagt in übertriebenen Maße auf die beiden Extremgruppen fokussiert und die wesentlich größere breite Masse wird glatt übersehen.“
Aus „Das 60%-Potenzial“ von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Hierum dreht sich das Buch. In sieben Kapiteln wird die Antwort auf die Frage „Wie gewinnen wir die 60%?“ geliefert.
Es werden erst einmal Vergleiche der einzelnen Gruppen angestellt und zum Beispiel auf das Mindset geschaut. Finden die Öko-Fans nachhaltige Label per se gut, müssen Produkten bei den Vertreter*innen der 60% auch mit einem coolen Image, guten Preisen und einer Verbesserung der eigenen Lebensqualität punkten. Hierauf wird in den Customer Insights näher eingegangen und mit Beispielen von Marken, die es verstanden haben, verdeutlicht.
Kapitel 4 geht darauf ein, warum Marken sich in der Öko-Falle befinden und wie sie sich daraus befreien können, um auch die 60% zu erreichen. Hier werden Hinweise gegeben, woran man erkennt, ob man als Hersteller in der Öko-Falle sitzt. Auch findet sich ein Beispiel für ein Unternehmen, das auf dem Weg aus dieser Nische ist.
Um die Demokratisierung von grünem Konsum für Umsatz und Umwelt geht es in Kapitel 5, Das ist eine wirklich nicht leichte Aufgabe, die in Kapitel 6 mit den 5 Jobs für grüne CMOs (CMO = Chief Marketing Officer) weiter ausformuliert wird:
- Die Führung übernehmen
- Grünen Konsum reframen
- Sich nicht im Öko-Dschungel verirren
- Schluss mit Abstrichen machen
- Die Extrameile gehen (die Geschichte von Sprint und Marathon)
In diesem Kapitel geht es ans Eingemachte, es werden viele Beispiele zur Erklärung gebracht.
Kapitel 7 behandelt „Das 60%-Potenzial für unterschiedliche Anspruchsgruppen“, also die Politik, Nachhaltigkeitsabteilungen, für Sustainable Natives, für Sustainable Immigrants, also was können diese Gruppen tun, um die 60% zu erreichen.
Am Schluss wird dann noch einmal zusammengefasst, wie Marketing vom Problem zur Lösung der grünen Transformation beitragen kann und es gibt auch ein Glossar für alle die ob des vielen Marketing-Sprechs schon hochgerollte Fingernägel haben. So sind Sustainable Immigrants Unternehmen, die bei der Gründung Nachhaltigkeit nicht auf ihren Fahne stehen hatten und jetzt gerade in der Transformation sind. Sustainable Natives sind die Hardcore-Nachhaltigkeitsunternehmen, die Pioniere.
Unsere Devise für die 60%: Lieber Bock als Druck machen“
Aus „Das 60%-Potenzial“ von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Mein Leseeindruck von „Das 60%-Potenzial“
Da ich schon seit einiger Zeit den „BAM! Bock auf morgen“-Podcast höre, habe ich mich gefreut, als ich hörte, dass dieses Buch erschien. Selbst im Marketing tätig, finde ich es wichtig, dass auch wir „Werbe-Fuzzis“ unseren Teil dazu tun, dass der Konsum nachhaltiger wird.
Die Autor*innen beschäftigen sich beide intensiv mit Marketing und Nachhaltigkeit und vermitteln ihr Thema locker und leicht, was ich bekanntlich für eine gute Strategie zur Wissensweitergabe halte. Die 60% auszuwählen, halte ich auch für eine gute Idee, auch wenn ich mich selbst vermutlich schon eher in Richtung Öko-Fan einsortieren würde. Dieser Ansatz zu verfolgen, mag ich, weil ich denke, weil wir mehr erreichen werden, wenn viele es versuchen und immer mehr nachhaltiger machen, als das wir gar nicht erst anfangen, weil wir wissen, dass wir nicht perfekt sein können. So möchten sie „ganz bewusst den Wald betrachten und nicht die Bäume“.
Da denke ich auch, dass ein Effekt einsetzt, dass man ein gutes Erlebnis vermehren möchte. Also das frische Gefühl, wenn man zu Fuß zum Bäcker gegangen ist und nicht mit dem Auto gefahren ist oder den tollen Geschmack der veganen Bolognese.
Doch darum geht es jetzt nicht. Es geht viel mehr darum, dass die nachhaltigeren Produkte mit den nicht nachhaltigen Produkten mithalten müssen, um bei den 60% bestehen zu können, d. h. der Geschmack muss top sein, der Preis muss stimmen und das Produkt muss nach Möglichkeit auch irgendwie besonders cool und sexy sein, damit es gekauft wird und nicht das nicht nachhaltige. Hier ist ein Umdenken gefragt und das bedeutet ein großes Umdenken auf vielen Ebenen. So muss ein nachhaltiges Produkt nicht in „grünem“ Design daherkommen, sondern ganz anders um die 60% abzuholen.
„Für eine gelingende grüne Transformation müssen wir die Menschen ranholen und vereinen, statt sie abzustoßen und zu vereinzeln. Wie können wir das für die 60% bewerkstelligen? Wie ticken sie denn wirklich? Und was sind ihre stärksten gemeinsamen Nenner?
Aus „Das 60%-Potenzial“ von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Soweit die Theorie – im Buch wird anhand von Praxisbeispielen gezeigt, wie das gelingen kann. So hätte jetzt vermutlich niemand jemals gedacht, dass Birkenstock-Latschen mal so richtig angesagt sein würden oder ein Unternehmen wie Rügenwalder mal aufs vegane Pferd setzen würde. Aber auch klassische Zwickmühlen wie die Frage, was jetzt besser ist, eine Gurke ohne Plastikverpackung oder mit. Das eine reduziert Plastikabfall, das andere kann Lebensmittelverschwendung reduzieren.
Es gehört eine Menge Mut dazu, Lust auf Veränderung zum Guten hin und Bock, etwas Neues zu wagen, um so eine Transformation hinzubekommen. Im Buch kommen einige Marketingverantwortliche aus unterschiedlichen Unternehmen zu Wort und zwar von einer urnachhaltigen Marke wie VAUDE bis zu einem Unternehmen wie Vattenfall.
„In der Überzeugung dieses Buches geht das vermeintlich Unvereinbare also Hand in Hand. Umsatz und Umwelt parallel zu hebeln, das ist der wahrhaft große Raum, der sich mit einer konsequenten strategischen Ausrichtung auf das 60%-Potenzial für Unternehmen erschließt. Beides miteinander zu verbinden, ist die entscheidende Prämisse.“
Aus „Das 60%-Potenzial“ von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Mir gefällt, dass es nicht nur Analysen gibt, sondern auch anhand von Praxisbeispielen gezeigt wird, wie es möglich ist, das 60%-Potenzial zu erreichen. Zusätzlich gibt es noch gute grafische Darstellungen, die das Thema noch einmal visuell veranschaulichen und so zwar wiederholen, aber dadurch länger im Gedächtnis bleiben. Ich habe einiges für mich mitgenommen und hoffe, dass es noch weitere Menschen aus den Marketing- und Kommunikationsabteilungen lesen, um es dann auch umsetzen zu können.
Ich nehme für mich als Zusammenfassung von „Das 60%-Potenzial“ mit, dass der Wille zur Veränderung eine Grundvoraussetzung für den Erfolg ist. Dies in Kombination mit einer langfristigen Strategie, die 60% wirklich mit guten, nachhaltigen Produkten, die den bisher gewohnten in nichts nachstehen, sogar noch besser sind, zu überzeugen, bringt dann den Wandel, vorausgesetzt, dass auch im Unternehmen die Mehrheit dahinter steht, denn wir können nicht davon ausgehen, dass wir uns als Gesellschaft schnell vom Konsum verabschieden werden, deshalb stimme ich den Autor*innen auch zu, dass es jetzt erst einmal darum geht, den Konsum nachhaltiger werden zu lassen. Vielleicht kommt mit dem Nachdenken darüber dann auch der Gedanke, dass weniger Konsum besser ist.
Über die Autor*innen:
Prof. Dr. Johanna Gollnhofer ist Assoziierte Professorin für Marketing an der Universität St. Gallen. Forscht und lehrt an der Schnittstelle Marketing/Nachhaltigkeit. Auf LinkedIn gibt sie den Newsletter »Green Marketing« raus.
Jan Pechmann ist Unternehmensberater & Unternehmer, Gründer der Agenturen diffferent (bis 2021) sowie von BAM! Bock auf Morgen, das sich für nachhaltiges Marketing stark macht. Er ist Initiator des Marketing for Future Award.
Beim BAM! Bock auf morgen Podcast gibt es eine Folge mit den beiden, in der sie über ihr Buch sprechen. Dort erfährst du noch mehr darüber.
Autor*innen: Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann
Erscheinungsdatum: 18.09.2024
Verlag: Campus Verlag
ISBN: 978-3-593-51958-6
PS: Mein Buch ist ein kostenloses Rezensionsexemplar (unbezahlte Werbung), welches mir vom Campus Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich ganz herzlich!
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Ein Buch, in dem es u. a. auch um die wichtige Bedeutung des Marketings geht, ist „Lust auf Verzicht“ von Ingo Balderjahn. Er geht darauf ein, wie mit den Mitteln des Marketings und guter Kommunikation gearbeitet werden kann, um den Konsum in eine nachhaltigere Richtung zu lenken.