Aktualisiert am 17. August 2022 von Antje Tomfohrde
In unserer heutigen Gesellschaft gewinnt man den Eindruck, dass die lauten Menschen den Ton angeben und dass die extrovertierte Persönlichkeit das Ideal ist. Der oder die am lautesten brüllt, bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Als Elternteil eines eher leisen Kindes macht man sich da schon einmal Gedanken, wie das Kind in so einer lauten Welt gehört werden kann. Und den leisen Kinder wird wenig subtil vermittelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Eva Lohmann will mit ihrem Buch eine Brücke in die Welt der introvertierten Kinder und auch Erwachsenen bauen, damit wir uns gegenseitig besser verstehen.
Wovon handelt „So schön still“?
Wie ist es als introvertiertes Kind in einer eher lauten Welt zu leben und wie ist es ein introvertiertes Elternteil zu sein? Wie geht man damit um und schafft es, im Einklang mit sich selbst zu bleiben und in der auf laute Menschen ausgelegten Welt gut klar zu kommen? Das ist meine Kurzbeschreibung des Buchs.
„So schön still“ ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil geht es um das introvertierte Kind und im zweiten Teil um introvertierte Eltern. Im Vorwort wird beschrieben, warum es wichtig ist, nicht nur die Eigenschaften einer Pippi Langstrumpf hervorzuheben, sondern auch die der Annikas dieser Welt, die alles andere als langweilig sind. Und sie liefert ein Zitat von Astrid Lindgren, das ein Leitsatz für die Introvertierten dieser Welt sein könnte:
Danach beginnt sie damit, sich den introvertierten Kindern zu widmen und benennt gleich das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Es ist die Art wie introvertierte und extrovertierte Menschen Energie gewinnen. Die Extrovertierten gewinnen ihre Energie aus ihrer Umgebung, wogegen Introvertierte sie aus sich selbst ziehen. Die einen brauchen also eine Aufladung von außen und die anderen von innen und sind deshalb gerne mal allein, wohingegen das für die eher extrovertiert angelegten Menschen das Grauen schlechthin sein kann. Aber – ganz wichtig – es gibt ganz viele Abstufungen.
Es wird auf die Bedürfnisse der leisen Menschen eingegangen und zu dem Begriff Schüchternheit abgegrenzt. Denn introvertiert und schüchtern sind zwei völlig unterschiedliche Begriffe. Eines eint sie, nämlich die Tatsache, dass ihnen oft vermittelt wird, dass sie so wie sie sind, nicht „richtig“ sind.
Sie erklärt, wie unsere heutige Welt lauter wurde (das war sie nämlich gar nicht immer und es gibt immer noch Gesellschaften, in denen eher leise Menschen das Ideal verkörpern). Auch geht sie auf diese Killersätze ein, die jede*r Introvertierte kennt, z. B. „Eva wäre eine so gute Schülerin, wenn sie sich mehr am Unterricht beteiligen würde.“
Dann gibt es noch den Satz „Spiel doch mal mit den anderen Kindern.“ Zwei Sätze, die man als Introvertierte*r so versteht, dass mit einem etwas nicht „normal“ ist. Hier geht die Autorin darauf ein, was es mit den Kindern macht und gleichzeitig appelliert sie an uns Eltern, milde mit uns zu sein, wenn wir diesen Satz dann doch einmal sagen. Selbst introvertierte Eltern sagen ihn.
Sie gibt Tipps zum Umgang mit dem introvertierten Kind, nennt Tricks, wie man bestimmte Situationen umschiffen kann und wie man es ermuntern kann, in der Schule ab und an mehr mitzumachen, denn es wird noch dauern, bis sich das System ändert. Geduld ist wichtig. Es geht um Kindergarten- und Schulwahl, Freunde zu finden, Hobbies zu entdecken und die Berufswahl. Es gibt viele Buchtipps und eigene Erfahrungen der Autorin.
Im zweiten Teil geht es dann um die erwachsenen Introvertierten, denn man bleibt sein ganzes Leben introvertiert und – ganz wichtig – jeder mit unterschiedlichen Anteilen. Niemand ist zu 100 Prozent Intro oder Extro.
Wie es als introvertierte mit einem extrovertierten Kind ist, erzählt Eva Lohmann in diesem Teil und gibt auch hier wieder viele – selbst erprobte Tipps und Ratschläge. Sie beschreibt, wie wichtig es ist, die eigenen Energiereserven immer wieder aufzuladen und wie das geschieht, ohne dem Kind oder dem extrovertierten Partner ein schlechtes Gefühl zu vermitteln.
Wie kann der Familienalltag gut bewältigt werden? Wie können sich leise und laute Menschen gut ergänzen? Sie liefert eine „Gebrauchsanweisung“ für introvertierte Partner und liefert Tipps zum Energiesparen als Intro.
Meine Meinung zum Buch
Kurz zusammengefasst: Ich würde dieses Buch gerne allen in die Hand drücken, die sich nicht vorstellen können, wie es ist, als introvertiertes Kind in einer extrovertierten Welt aufzuwachsen. Wie sehr es eine*n belasten kann, diese Killersätze zu hören, dass man sich „nur“ mehr melden muss, um als gute*r Schüler*in zu gelten statt gesagt zu bekommen, dass man so, wie man ist, schon gut ist, dass nur das Schul- und Benotungssystem nicht darauf ausgelegt ist, die Leistung leiser Menschen zu bewerten.
Eva Lohmann schildert ganz viele Erfahrungen, die vermutlich jede*r Introvertierte in ähnlicher Form gemacht hat. Auch ich kann ein Lied davon singen, auch wenn meine Introvertiertheit nicht ganz so stark ausgeprägt ist. Dieses nervige „Spiel doch mit den anderen Kindern, dann bist du nicht so allein.“, wenn ich mitten im Spiel war und z. B. hochkonzentriert einen Garten im Sand am Strand angelegt habe. Und natürlich habe ich diesen Satz auch schon gesagt, unsensibel wie ich bin oder vielleicht bin ich in all den Jahren viel zu sehr auf das laute Ideal konditioniert worden und vergesse es dann, wie doof dieser Satz ist.
Aber es ist wichtig, dass wir milde mit uns sind als Eltern und es immer wieder versuchen und die Kinder unterstützen, in der lauten Welt klar zu kommen. Beides ist wichtig, das Laute und das Stille und niemand ist nur eines und das ist gut so. Das Verständnis füreinander ist wichtig. Wenn ein stilles Kind Ruhe braucht und es auch sagt, es ist wichtig, ihm diese Ruhe zu gewähren, genauso wie ein lautes Kind sich eher mit ganz vielen anderen Menschen ausruhen kann.
Introvertierte Kinder sind genauso „normal“ wie die lauten Kinder, wir haben nur gerade das Laute als Gesellschaftsideal auserkoren. Ein Gleichgewicht zwischen beiden wäre gut, denn es gibt nicht mehr laute als leise Menschen, wir geben den leisen nur gerade zu wenig Raum.
Das Buch „So schön still“ von Eva Lohmann ist ein Plädoyer dafür, auch den Leisen mehr Raum zu geben und es ist in meinen Augen eine große Hilfe, um die leisen Kinder besser zu verstehen. Es erklärt extrovertierten Eltern und Lehrer*innen, Übungsleiter*innen beim Sport und ähnlichen Freizeitaktivitäten wie wir Intros ticken, worauf man achten sollte. Die Tipps für die Schule für Introvertierte sind auch gut und helfen hoffentlich so einigen, sich leichter zu tun, mit unserem Schulsystem klar zu kommen.
„So schön still“ wirbt für Verständnis, gibt ganz viele Tipps (allein die Buchtipps haben meine Leseliste stark anwachsen lassen) und zeigen, wie „normal“ die oder der Introvertierte an sich eigentlich ist. Wir laden nur anders unsere Batterien auf und dadurch ergeben sich ein paar Unterschiede, was aber auch das Zusammenleben weniger langweilig macht.
Vieles aus dem Buch hätte ich als Kind schon gerne gewusst, dann wäre vermutlich einiges leichter gewesen. Darum hoffe ich, dass wir es als Gesellschaft den Intros nach dem Lesen dieses Buches jetzt leichter machen können, einfach, weil wir ein bisschen besser verstehen, wie sie ticken. Mich hat es daran erinnert, wie wichtig für mich diese Zeit mit mir ist und dass ich mir häufiger Zeit zum Aufladen meiner Batterien nehmen sollte, um mich dann wieder ins Menschengetümmel zu stürzen, was ich trotz Introvertiertheit sehr schätze.
Das Buch hat mir so gut gefallen, dass ich es mir, während ich das Rezensionsexemplar auf dem eBook-Reader gelesen habe, als „richtiges“ Buch gekauft habe. „So schön still“ ist also eine 5-Sterne-Leseempfehlung von mir für alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Autorin: Eva Lohmann
Verlag: Rowohlt Verlag
Erschienen: 15.02.2022
ISBN: 978-3-499-00638-8
PS: Mein eBook ist ein kostenloses Rezensionsexemplar, welches mir vom Rowohlt Verlag über NetGalley zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich herzlich!
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekomme oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.
Falls du mehr über das Buch „So schön still“, die Autorin und wie man sensibler im Umgang mit extrovertierten und introvertierten Kindern wird, erfahren möchtest, empfehle ich dir den Podcast Frauenstimmen von Ildikó von Kürthy. In der Folge „Warum Extrovertiertheit kein Ideal ist“ spricht sie mit Eva Lohmann darüber (vielen Dank an Maike Kranaster für den Hörtipp).