Aktualisiert am 4. Juli 2022 von Antje Tomfohrde
Wie ticken die Niederländer und warum ist das so?
Sobald man die Grenze von Deutschland in die Niederlande überquert, ist man in einer anderen Welt. Zum einen wird nicht mehr so gerast, wenn man mit dem Auto über die Autobahn einreist, das Tempolimit sorgt schon gleich für eine entspanntere Fahrweise. Und entspannter, ja, so wirken sie, unsere Nachbarn. Woran liegt es und was macht dieses Land und seine Bewohner*innen so liebenswert? Kerstin Schweighöfer lebt seit über 30 Jahren im Nachbarland und liefert eine „Gebrauchsanweisung für die Niederlande“. Vielleicht ist es aber auch eher eine Liebeserklärung an ihr vlakke land…
Der Inhalt des Buchs
Kerstin Schweighöfers Reise durch ihre zweite Heimat beginnt am Strand – rechts sieht sie das Riesenrad auf der Pier von Scheveningen und rechts kann sie den weißen Leuchtturm von Katwijk erkennen. Die Grundstimmung ist gelegt, jede*r hat jetzt vermutlich das eigene Bild der Niederlande im Kopf.
Und da vermutlich bei einigen gleich das Wort „Holland“ mit im Kopf ist, startet sie mit einem Crashkurs, um den Begriff Niederländer zu erklären. In aller Kürze: als Westfälin möchte ich lieber als Deutsche bezeichnet werden als als Rheinländerin oder Schwäbin und so geht es den Niederländer*innen auch. Holland ist nur ein kleiner Teil der Niederlande. Anderes stimmt aber durchaus, so gehören Käse, Tulpen, Tomaten und die süßen Verniedlichungsformen wie in „biertje“ und das Duzen zur Tagesordnung.
Dann geht es weiter in die Stadt Leiden, um die Niederlande in aller Kürze zu erklären. Es geht auf einem Boot durch die Grachten der Stadt und mitten hinein in die Geschichte, zurück zu der Zeit als die Spanier vertrieben wurden. Dies war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem heutigen niederländischen Staat und erklärt auch das sehr familiäre Verhältnis zur Königsfamilie.
Von Leiden geht es nach Den Haag und Amsterdam, die eine Stadt ist der Regierungssitz, die andere die Hauptstadt – diesen Luxus gönnen sich nicht viele Länder auf der Welt.
Es geht zum Meer und die Bedeutung des Wassers für das Land und die Leute und wie der Staat versucht, sich gegen das Wasser zu behaupten oder besser mit den Naturgewalten zu leben, besonders im Angesicht des Klimawandels. Auch die Grenzregion zu Belgien wird gestreift, Maastricht ist da eine besondere Erwähnung wert und wie es Rotterdam gelang, sich nach dem zweiten Weltkrieg neu zu erfinden.
Der Weltkrieg und die schwierige Beziehung zu den deutschen Nachbarn und wie sich diese Beziehung mittlerweile geändert hat, wird thematisiert und welchen Einfluss die Niederlande und das Niederländische auf vieles hatten und haben.
Natürlich geht es auch um Käse, Tulpen und Tomaten und das Fietsen, denn das ist wirklich etwas ganz Besonderes – die Niederlande sind das Fahrradland in Europa und vermutlich sorgt auch die viele frische Luft für so viel Entspanntheit.
Wie hat mir die „Gebrauchsanweisung für die Niederlande“ gefallen? Taugt sie was?
Meine Inhaltsangabe klingt ein wenig wie die Inhaltsangabe eines Reiseführers, dabei ist sie so viel mehr. Kerstin Schweighöfer liefert Informationen zu den Niederländern und warum sie so locker sind. Es könnte damit zu tun haben, dass sie, als ganz Europa noch im Absolutismus lebte, das spanische Joch loswurden und während Ludwig XIV. Versailles erbauen lies in Amsterdam das Stadhuis bauten. Ihr Verhältnis zu Autoritäten ist ein anderes. Doch das heißt nicht, dass alles easypeasy ist, nein, gleichzeitig hat sich ein calvinistischer Fleiß breitgemacht, so dass dies eine interessante Kombination ist.
Das Wasser ist ein weiterer Faktor, der das Leben in den Niederlanden anders macht. Lebensspendend, lebensgefährdend und gleichzeitig der Startpunkt für eine steile Karriere als Handelsmacht ist es omnipräsent, denn wenn die Niederländer nicht stetig gegen den Landhunger des Meeres kämpfen würden, wäre das Land um einiges kleiner. So war es schon immer wichtig, flexibel zu sein und auch auf der Hut, um Gefahren, die vom Wasser kamen, abzuwenden. Da war es wichtig, in einer Gemeinschaft zusammenzuleben und auch füreinander da zu sein, wenn es wichtig wurde. Dies prägt diese Gesellschaft noch immer und wird in Zukunft noch wichtiger werden.
Die Autorin vermittelt ganz viel Wissen mit kleinen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen und erzählt gleichzeitig von ihren persönlichen Erfahrungen, ohne dass es wie eine sachliche Gebrauchsanweisung wirkt. Während ich das Buch gelesen habe und jetzt, während ich diese Rezension geschrieben habe, sitze ich in der Ferienwohnung in Castricum, trinke ein Amstel und muss an verschiedenen Stellen, die ich mir markiert habe im Buch, lächeln. Denn es ist genau so, wie es dort steht.
Gerade den Teil, in dem sie beschreibt, dass sich ihre deutschen Freundinnen und Verwandten erst einmal bei Dille & Kamille satt sehen und stundenlang im Leidener Geschäft stöbern, kann ich aus erster Hand bestätigen. So ging es mir in diesem Jahr als ich den Laden in Leiden entdeckte. Für alle, die auf Dekokram stehen, ein Muss.
Etwas, das mich in den Bann zieht und immer mehr begeistert, ist das Fahrradfahren hier etwas ganz Alltägliches ist und nicht nur etwas, das am Wochenende entlang der touristischen Fahrradrouten gemacht wird. Am Wochenende wird natürlich auch Fahrrad gefahren, aber hier ist es ein Fortbewegungsmittel, dem Raum eingeräumt wird und der genutzt wird. Es gibt sichere Fahrradwege, die direkt neben den großen Straßen sind, am Bahnhof und in den Städten gibt es Fahrradparkhäuser und es ist schön, die großen Gruppen mit Schulkindern zu sehen, wenn sie gemeinsam zur Schule und zurück fietsen. Dies kann gerne ein niederländischer Exportschlager werden in Verbindung mit einem guten ÖPNV und ÖPV Angebot. Ich freue mich jedes Mal darauf, hier Rad zu fahren.
Es ist ein Buch, das einen liebevollen Blick auf die Niederländer*innen und ihr Land wirft, kleine Details erklärt (wie zum Beispiel die Spuren des Niederländischen in der Welt) und einen guten Überblick liefert. Auch schwerere Themen wie die Zeit des Sklavenhandels, der Kolonialzeit und ihrer Folgen und der Umgang damit und die Zeit des zweiten Weltkriegs werden angesprochen. Es geht ums Ganze, nicht nur um die Sahnehaube.
So macht es das Buch für mich zum einen zu einer Gebrauchsanweisung für die Niederlande, aber gleichzeitig auch zu einer Liebeserklärung an ein Land, in dem ich bei jedem Besuche etwas Neues entdecke und jedes Mal einen weiteren Ort finde, zu dem ich reisen möchte. Wer also tiefer in die Materie einsteigen möchte, wird hier gut bedient und hat Lust, mehr von Land und Leuten kennenzulernen.
Autorin: Kerstin Schweighöfer
Verlag: PIPER Verlag
Erschienen: 31. März 2022
ISBN: 978-3-492-27756-3
PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich verlinke auf meine Buchhandlung hier vor Ort in Hohenlimburg, die Hohenlimburger Buchhandlung. Dort kann auch online bestellt werden, was auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Händlern ist. #SupportYourLocalBookShop
Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.