Wenn alles zu viel wird – Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickl

Auf dem Foto liegt das Buch Die Wut, die bleibt auf einer hellen, holzähnlichen Oberfläche. Es ist das Headerbild der Rezension des Buchs.

Aktualisiert am 16. November 2024 von Antje Tomfohrde

Die Corona-Pandemie hat nicht nur weltweit tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch noch einmal deutlich gezeigt, wer immer noch den Großteil der Familienarbeit in den modernen Gesellschaften trägt. Es waren und sind die Frauen, auf deren Schultern weiterhin der Großteil des Mental Loads liegt. Mareike Fallwickls Buch „Die Wut, die bleibt“ veranschaulicht dies auf dramatische Weise.

Worum geht es in dem Buch?

Ein Frau steht während des Abendessens nach einer Frage ihres Mannes auf, geht auf den Balkon und springt. Mit dieser Szene beginnt Mareike Fallwickl ihren Roman „Die Wut, die bleibt“.

Johannes bleibt nach Helenes Selbstmord mit seiner Teenager-Tochter Lola und den Kindergartenkindern Lucius und Maxi allein zurück. Damit der Tagesablauf einigermaßen gewahrt bleibt, springt Helenes beste Freundin Sarah ein und übernimmt große Teile von Helenes Aufgaben.

Alle vermissen Helene, im Buch geht es um Lola und Sarah und ihre Wut auf das Gesellschaftssystem, in dem Frauen noch immer den Großteil der Care-Arbeit erledigen und dies als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Meine Leseeindruck von „Die Wut, die bleibt“

Mareike Fallwickl gibt ihren Leser*innen schon gleich auf der ersten Seite voll einen Schlag auf die Zwölf mit dem stummen Selbstmord von Helene. Das Buch beginnt krass und zeigt damit so gut den Einschnitt, den der Tod für die Familie bedeutet.

Johannes steht von eben auf jetzt allein mit drei Kindern da. Lola und die beiden Jungen haben ihre Mutter verloren und Sarah ihre beste Freundin. Sarah ist Schriftstellerin, ist durch die Pandemie bedingt viel zu früh mit ihrem Freund Leon zusammengezogen und beginnt sich um die Kinder ihrer verstorbenen Freundin zu kümmern. Johannes muss ja weiter arbeiten und kann nicht in Teilzeit gehen als Ernährer der Familie.

„Dass es dafür ein Wort gibt, Teilzeitfalle, sagt Sarah nicht. Weil es eine Falle ist, in die nur Frauen gehen, und mit Frauen sind Mütter gemeint. Dass Helene genau aus diesem Grund zuletzt einen Bürojob gemacht hat, mit dem sie unglücklich war, sagt Sarah auch nicht, und dass sie nicht angemessen bezahlt wurde, weiß Johannes ohnehin.“

– Aus „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl

Sarah „sieht“ ihre Freundin immer wieder vor sich, spricht mit ihr und kann nach und nach verstehen, warum sie getan hat, was sie getan hat. Das System ist krank. Es lädt den Frauen immer noch den Großteil der Familienarbeit auf. Frauen dürfen arbeiten, müssen aber weiter Haus- und Familienarbeit erledigen und Termine u. ä. koordinieren. Dies hat Pandemie sichtbar gemacht und Frauen einen Schritt zurückgeworfen, zum Beispiel haben viel mehr Männer als Frauen in dieser Zeit wissenschaftliche Arbeiten.

„Ihre Freundschaft reicht so weit zurück, wie eine Freundschaft nur zurückreichen kann. Sie haben sich im Kindergarten kennengelernt, sind gemeinsam durch durch die Schulzeit und das Studium gegangen und auch in jenen Zeiten in Kontakt geblieben, in denen sie in verschiedenen Städten lebten. Fast vierzig Jahre, und jedes Jahr ein weiterer Tropfen Kleber, der sie verbunden hat, deshalb hat Sarah gedacht, diese Freundschaft wäre unlösbar.“

– Aus „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl

Lola spürt ihre Wut als heranwachsendes Mädchen noch einmal anders, intensiver. Die Autorin zeigt dies mit einer extremen Entwicklung von Lola, die sich anders gegen die gesellschaftlichen Zwänge auflehnt. Sie lässt ihrer Wut freien Lauf. Das fand ich sehr extrem, gleichzeitig passt es zu diesem jungen Charakter. Sie hat ihre Mutter verloren, muss immer wieder auch mal Mutteraufgaben für ihre kleinen Brüder übernehmen, in dem sie sie nachts tröstet, auf sie aufpasst und ihren seelischen Ballast aufwischt.

Gleichzeitig kämpft sie mit ihrem eigenen Schmerz, ihr fehlt einfach ihre Mutter und sie erkennt, wie tief die Gesellschaft noch im Patriarchat verwurzelt ist. Die Beschreibungen der Autorin betonen diese Zerrissenheit, diesen Zorn und das, was fehlt, zum Beispiel hier in diesem Satz: „Lola schläft in Splittern. Wann immer der Schlaf sie mitnimmt, reißt der Körper sie zurück, indem er zuckt. Zuckt so hart und rüttelnd, dass sie hochschreckt und ihre Lunge pfeift.“ So etwas findet sich mehrfach im Buch und hilft dabei, die Gefühle der Hauptfiguren zu spüren.

Gerade bei Lola gelingt ihr dies besonders gut, Lolas Wut wird von innen über ihren Körper nach außen getragen und Lola überschreitet Grenzen, ihre eigenen, die von anderen und gesellschaftliche. Sie ist wild, aus ihr quillt die Wut und der Schmerz ungefiltert heraus. Die Entwicklung des Mädchens im Buch ist extrem, passt aber zu der Message, die Mareike Fallwickl hat. Schließlich wird Mädchen immer noch vermittelt, dass sie sich eher anpassen, ruhig verhalten sollen und nicht laut und martialisch körperlich sein sollen.

Bei Sarah ist es eine Erkenntnis, die langsam wächst und sie befreit sich mit Hilfe von Lola von althergebrachten Denkweisen. Dieser Teil des Buches gibt Kraft, zeigt er doch, was auch Gutes aus Wut erwachsen kann.

„Sarah hat dieses durchdringende Beben in sich und denkt mit frischer Wut an sich und ihre Mutter. Sicher, es war eine andere Zeit. Und so ein verkrusteter Groll bringt niemandem was. Aber es hätte etwas verändert, vorgelebt zu bekommen: Sei laut, und nicht: Sei still.“

– Aus „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl

Die Pandemie hat offen gelegt, was nicht funktioniert und das Buch löst durch seine Direktheit dies zu zeigen, es zu spiegeln einen Gefühls-Tsunami aus, zumindest war das bei mir so. Die Erschöpfung wird so offensichtlich, man fühlt beim Lesen die bleischwere Müdigkeit, die Überforderung. Aber auch die wahnsinnige Kraft ist da, der Wille zur Veränderung, verkörpert durch Lola. Ein Buch, das weh tut und zeigt, wo es weh tut.

Valerie und ich haben im Die Bücherstaplerinnen Podcast über dieses Buch und was es bei uns ausgelöst hat gesprochen, wenn du magst, hör mal in Folge 11 rein.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Die Wut, die bleibt
Autorin: Mareike Fallwickl
Erscheinungsdatum: 17. Oktober 2023
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3-498-00296-1

PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich kaufe Bücher direkt am liebsten in kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen. Bei den meisten Buchhandlungen ist es auch möglich, online zu bestellen, sie sind also auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Shops. Online bestellen und in der Buchhandlung abholen oder direkt nach Hause liefern lassen, auch eBooks können direkt bei der Buchhandlung deiner Wahl online gekauft werden. #SupportYourLocalBookshop

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Ein weiteres Buch über Wut hat der Journalist und Klimaaktivist Raphael Thelen geschrieben. In seinem Buch geht es darum, wie Gefühle wie Verzweiflung, Angst oder das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden in Wut umschlagen können. Die Rezension zu „Wut“ findest du hier.

Bei der Hans Böckler Stiftung kannst du dir eine PDF-Datei mit mehr Informationen zur Verteilung des Mental Loads auf die Geschlechter herunterladen.

Zur Gender Publication Gap findest du diesen Beitrag.

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