Das Haus auf dem Wasser von Emuna Elon

Auf dem Bild ist das Buch Das Haus auf dem Wasser von Emuna Elon auf einer hellen, holzähnlichen Fläche abgebildet. Es ist das Headerbild des Beitrags, der eine Rezension des Buches ist.

Aktualisiert am 17. Juli 2024 von Antje Tomfohrde

übersetzt von Barbara Linner

Auf der Suche nach einem Buch, dass in Amsterdam bzw. den Niederlanden spielt, bin ich auf „Das Haus auf dem Wasser“ von Emuna Elon gestoßen. Vom Titel hätte ich auf einen ganz anderen Inhalt geschlossen, aber es hörte sich für mich nach einem Buch für einen Aufenthalt in Amsterdam an.

Wovon handelt das Buch?

Joel Blum ist ein israelischer Schriftsteller und auf Lesereise in Amsterdam, der Stadt, die er – wäre es nach seiner Mutter gegangen – niemals hätte besuchen sollen. Doch es ergab sich, dass er diese Warnung in den Wind schlug und er während dieser Lesereise im Jüdischen Museum ein Foto seiner Familie entdeckte. Auf diesem Foto waren sein Vater, seine Schwester und ein Baby auf dem Arm seiner Mutter. Soweit so gut, nur war es nicht er, der auf dem Arm sein Mutter war, sondern ein anderes Kind.

„Das kleine Mädchen, das der Mann in seinen Armen hielt, war Nettie. Daran bestand für ihn kein Zweifel: die Gesichtszüge, der Ausdruck, alles. Aber wer ist das fremde Baby, fragte sein Herz, wer ist der fremde Säugling, den deine Mutter in ihren Armen hat?“

Aus „Das Haus auf dem Wasser“ von Emuna Elon

Dieses Erlebnis lässt Joel nicht mehr los und eine Woche, nachdem er nach Israel zurückgekehrt ist, macht er sich wieder auf den Weg nach Amsterdam, um „den Roman seines Lebens zu schreiben“ und das Geheimnis um das unbekannte Kind auf dem Arm seiner Mutter zu lüften.

Die Familie hatte zur jüdische Gemeinde Amsterdams gehört. Joels Vater war Arzt am jüdischen Krankenhaus und seine Mutter bis zur Geburt der Kinder dort Krankenschwester. Es war alles in Ordnung, bis die Nazis die Niederlande besetzten und auch dort immer mehr Repressalien gegenüber den dort lebenden Menschen jüdischen Glaubens verhängt wurden. Irgendwann wurde auch dort damit begonnen, diese Menschen in die Konzentrationslager zu bringen. Joels Familie kommt in der Kellerwohnung im Haus der einflussreichen Eltern einer Freundin seiner Mutter unter, als sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können.

In Amsterdam angekommen, sucht Joel sich ein Zimmer in einem Hotel in der Nähe der Wohnung, in der er mit seiner Familie früher gewohnt hat. Dort beginnt er seine mitgebrachten Notizbücher mit den Ergebnissen seiner Recherche zu füllen. Es geht um seine Wurzeln, wie hat seine Familie gelebt und wie kam es, dass seine Mutter dieses fremde Kind auf dem Arm hielt und nicht ihn, Joel.

Wie hat mir „Das Haus auf dem Wasser“ gefallen?

Als ich „Das Haus auf dem Wasser“ entdeckt habe, hatte ich eine Geschichte über das Leben auf einem Hausboot in Amsterdam vermutet und nicht eine so komplexe Erzählung, die in die Zeit der deutschen Besatzung der Niederlande im zweiten Weltkrieg hineinreicht. Allerdings machte es das Buch für mich erst so richtig interessant und es kam mit nach Amsterdam, wo wir nicht weit weg vom Ort der Handlung des Buches ein Hotel gefunden hatten.

Ich begann also zu lesen und war nicht nur innerlich in der Geschichte, sondern auch äußerlich. Immer wenn ich durch die Straßen Amsterdams lief, sah ich Joel oder seine Mutter mit den Kindern. Es gab Hauseingänge, an denen ich vorbeilief und dachte „haben sie in solch einer Kellerwohnung gewohnt? Sah der Eingang so aus?“. Einen Mittag waren wir auf der Suche nach etwas zu essen und kamen zufällig an der im Buch genannten Maoz-Niederlassung vorbei. Also haben wir dort – wie Joel im Buch – Falafel gegessen.

Und inhaltlich konnte mich Emuna Elon nach anfänglichen Schwierigkeiten, in denen ich den Verlauf der Geschichte ein wenig langatmig erzählt fand, dann packen. Denn das, was dem kleinen Joel und seiner Familie passiert ist, ist so vielen jüdischen Familien passiert und es gibt so viel Unerzähltes aus dieser Zeit. Eltern, die ihre Kinder von nichtjüdischen Familien verstecken ließen und sich nicht sicher sein konnten, ob sie sie jemals wiedersehen würden. Menschen, die darauf vertrauten, dass mit den niederländischen Juden nicht das passieren würde, was mit den Juden in Deutschland passierte. Ich musste sofort an Anne Frank und ihre Familie denken.

Die Autorin wechselt immer wieder die zeitliche Ebene. Mal ist sie mit Joel im Hier und Jetzt und dann wieder sind wir im Amsterdam zu der Zeit als Joel noch ein Baby war und wir erleben mit, wie das jüdische Leben eingeschränkt wird und das Unvermeidliche immer näher kommt. Die Angst der Mutter nach dem Vater auch noch die Kinder verlieren zu können, die immer schlimmer werdenden Einschränkungen, all das ist spürbar beim Lesen. Manchmal ist es so, dass Joel zwar in der Jetztzeit ist, aber es so verschwimmt, dass er in die Zeit seiner Mutter rutscht und dort weiter erzählt.

Und gleichzeitig entwickelt sich der Mensch Joel, er öffnet sich, es wird durch das Enthüllen der Wahrheit eine Last von ihm genommen und das gibt dem Buch dann eine hoffnungsvolle Komponente. Joel war bis dato ein Mann, der wenig über seine Gefühle gesprochen hat und galt auch bei seinen Enkelkindern nicht als der Opa, den man spontan umarmen durfte. Es gab immer eine Art unsichtbarem Sicherheitskreis um ihn herum, diese Festung öffnet sich langsam.

„Sein ganzes Leben ist einzig und allein Erwartung dieses einen Augenblicks: Der Augenblick, in dem er fühlen wird, dass er lebendig ist.“

Aus „Das Haus auf dem Wasser“ von Emuna Elon

Dieser Weg, den Joel geht, um zu recherchieren, hilft ihm Kontakt zu einer Seite in sich aufzunehmen, die er viele Jahre vielleicht unbewusst unterdrückt hat. Er nimmt Kontakt mit sich selbst und mit anderen auf. Dies wird im Buch ganz fein herausgearbeitet und klar, scheint er doch ein wenig anders zu sein als andere.

„Vielleicht würde sogar der Tag kommen, an dem er sich selbst beibrächte zu leben, ein Tag, an dem er wie jeder andere auf Erden gehen würde, ohne von dem Gedanken beherrscht zu werden, dass es im Prinzip merkwürdig, sogar lächerlich war, ein menschliches Wesen zu sein, eine Gliederansammlung, die sich unentwegt verschleißt, während sie hierhin und dorthin rennt, die Körperteile in allerlei Stoffe hüllt und alle möglichen Geräusche und Töne von sich gibt.“

Aus „Das Haus auf dem Wasser“ von Emuna Elon

„Das Haus auf dem Wasser“ erzählt viel über die Geschichte der niederländischen Jüdinnen und Juden während der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg und zeigt auf, wie es gelingen konnte, dass so viele jüdische Menschen aus den Niederlanden in die Konzentrationslager deportiert werden konnten. Es zeigt auch, wie das Untergrundnetzwerk funktionierte, das dabei half, das um die 2.500 Kinder bei nichtjüdischen Familien versteckt werden konnten.

„Von ungefähr hundertvierzigtausend holländischen Juden überlebten nur etwa achtunddreißigtausend die Kriegsjahre.“

Aus „Das Haus auf dem Wasser“ von Emuna Elon

Es half natürlich, dass ich beim Lesen in Amsterdam war und mir so einige Wege, die Joel oder seine Mutter gingen quasi während ich das Buch las, direkt vorstellen konnte, auch wenn sich bestimmt einiges geändert hat seit damals. Vielleicht kann man es damit vergleichen, wie Joel durch die Stadt lief auf den Spuren seiner Familie, wie er im Rijksmuseum immer wieder ein bestimmtes Bild betrachtet und dabei weitererzählt. Das war ein ganz intensives Leseerlebnis und eine Reise in die Geschichte.

Allerdings dreht es sich nicht nur um die traurige Geschichte des Holocausts, sondern es gelingt der Autorin zum Schluss ein Ende zu finden, das vielversprechend ist, ein Romanende, das die Geschichte wohlwollend mit der Geschichte des Buches verbindet.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Das Haus auf dem Wasser
Autorin: Emuna Elon
Übersetzerin: Barbara Linner
Erscheinungsdatum: 20. September 2021
Verlag: Aufbau
ISBN: 978-3-8412-2802-4

PS: Dieses Buch ist selbst gekauft und ich verlinke auf die Buchhandlung hier vor Ort in Hohenlimburg, die Hohenlimburger Buchhandlung. Dort kann auch online bestellt werden, was auf jeden Fall eine Alternative zu den großen Online-Händlern ist. #SupportYourLocalBookShop

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Eine weitere Geschichte, die sich damit beschäftigt, wie etwas lange Vergessenes wieder erinnert wird, ist „Kontur eines Lebens“ von Jaap Robben. Es beschäftigt sich damit, dass sich die Protagonistin im Altersheim plötzlich wieder an die Zeit erinnert, bevor sie ihren Mann kannte und etwas hochkommt, das sie nur verdrängt, aber nie verarbeitet hatte.

Wenn du die Gelegenheit hast, nach Amsterdam zu kommen, empfehle ich dir den Besuch des Anne Frank Hauses. Dort wird einem noch einmal bewusst, unter welch besonderen Bedingungen diese Menschen in ihrem Versteck gelebt haben, wie sie sich verhalten mussten über eine lange Zeit, um nicht aufzufallen, wie bedrückend das war. Am besten liest du das Buch vorher, falls du es in der Schulzeit nicht gelesen hast.

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