Immer kurz vorm Boreout – Geht so von Beatriz Serrano

Auf dem Bild ist das Buch Geht so von Beatriz Serrano vor einer türkisen Wand auf einer hellen, glatten Oberfläche abgebildet. Es ist das Header-Bild der Rezension des Buches.

Aktualisiert am 10. Mai 2025 von Antje Tomfohrde

übersetzt von Christiane Quandt

Es gibt diese Augenblicke im Arbeitsleben, wo alles nervt, wo es grottenlangweilig ist und wo das Allerletzte, was du brauchst, ein Teambuilding Event ist. Doch genau das steht Marisa in „Geht so“ bevor. Und da das Ganze in Madrid und in einer Marketingagentur spielt, musste ich dieses Buch unbedingt lesen.

Wovon handelt „Geht so“?

„Meine Arbeit besteht darin, freundlich zu sein und heiße Luft zu verkaufen. Ich lese das Creative Brief eines Produkts, das genauso beschissen ist wie alle anderen: ein roter Lippenstift, ein fruchtig-blumiges Parfum, ein Staubsauger mit Mini-Aufsatz, der auch in die kleinsten Ecken kommt, weil er dreieckig ist.“

Aus „Geht so“ von Beatriz Serrano

Marisa hat keine Lust mehr auf ihren Job, er langweilt sie zu Tode. Dabei hat sie sich ganz gut eingerichtet und könnte auf den ersten Blick zufrieden sein mit ihrem Leben. Nach ihrem Kunstgeschichtsstudium landet sie durch Zufall in einer Agentur, in der sie sich von der Praktikantin ins höhere Management hocharbeitet. Sie kann sich ein kleines Appartement mit Dachterrasse in Madrid leisten und muss nicht auf den Cent gucken.

Die Arbeitstage erträgt sie nur mit Beruhigungsmitteln und dem Anschauen von mehr oder weniger sinnbefreiten YouTube-Videos.

„YouTube ist mein Fenster zu einer Welt, in der ich mich gerne permanent aufhalten würde.“

Aus „Geht so“ von Beatriz Serrano

Doch das ultimative Grauen hängt seit Wochen in der Luft, es ist ein Teambuilding-Wochenende der Führungsriege und des mittleren Managements geplant. Der Albtraum für Marisa und dann erfährt sie, dass sie auch noch einen der Programmpunkte gestalten muss.

Kurz vor diesem Wochenende kommt ihr der „geniale“ Plan, ein paar Drogen mitzunehmen, um ohne Angstzustände da durch zu kommen.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Als ich durch die Vorschauen für das Frühjahr 2025 scrollte, ist mir „Geht so“ aufgefallen. Ein Buch, das in Madrid spielt, der Stadt in der ich vor einer gefühlten Ewigkeit ein Praktikum gemacht habe, und dann auch noch von einer jungen Frau, die im Marketing arbeitet, erzählt. Also einer heute jungen Frau. Zunächst habe ich weitergescrollt, denn von Gen Z bin ich altersmäßig meilenweit entfernt. Aber irgendwie ließ es mich nicht los und ich habe diesen Debütroman auf meine Must-Read-Liste fürs Frühjahr gesetzt.

Zum Glück habe ich das getan, denn – so viel sei schon mal verraten – das Buch hat mich voll abgeholt!

Das Buch beginnt an einem Montag, Marisa ist nur ins Büro gekommen, damit zuhause nicht permanent die Klimaanlage läuft. Bei der Arbeit läuft es nicht so gut, sie kommt mit keinem ihrer Weihnachtsprojekte weiter, weiß aber, dass sie so lange überzeugend reden kann, dass der Eindruck entsteht, dass sie an etwas arbeitet.

„Büro spielen ist easy, wenn man weiß, wie. Arbeit ist einfach nur eine Rolle, die man spielen muss. Ich beherrsche diese Rolle perfekt: Ich kenne die witzigen Geschichtchen, die immer funktionieren, um das Eis zu brechen.“

Aus „Geht so“ von Beatriz Serrano

Sie laviert sich so durch ihren Arbeitsalltag, schafft es, andere so einzuspannen, dass sie die unbeliebte Fleißarbeit für sie machen und verkauft es ihnen so, dass sie dabei wahnsinnig etwas lernen würden. Währenddessen schaut sie entweder YouTube-Videos oder macht Mittagspause oder flieht in den Prado, um sich im Triptychon „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch zu verlieren, was mittlerweile eine Art Therapieersatz für die geworden ist.

Denn Marisa weiß, was ihr fehlt und dass sie falsch abgebogen ist, dass ihr diese sinnlosen Arbeiten nicht gut tun. Sie hat sich für den sicheren Job und nicht für eine sinnerfüllte Arbeit entschieden oder wie sie es beschreibt: „Eigentlich habe ich mich, vor der Wahl, glücklicher zu sein oder mehr Dinge zu kaufen, schlicht und einfach dafür entschieden, mehr Dinge zu kaufen.“

So geht sie nun Tag für Tag zu einer Arbeit, die ihr nicht gefällt, vor der sie solche Angst hat, dass sie die Arbeitswoche nur mit Betäubung aushält, sei es mit Beruhigungsmitteln oder dem Anschauen von YouTube-Videos in Dauerschleife. Erschreckend ist nicht nur, dass sie ihr Leben nur so erträgt, sondern dass sie nichts daran ändert bzw. ändern kann.

„Aber weder der Arzt noch meine spätere Therapeutin verstanden je, dass mein Stress nicht durch die Arbeit an sich ausgelöst wurde, sondern, wie ich es ihm auch gesagt hatte, durch die Tatsache, überhaupt zur Arbeit gehen zu müssen. Acht Stunden täglich von Montag bis Freitag mit entfremdenden und unbefriedigenden Aufgaben verbringen zu müssen, und das umgeben von Leuten, mit denen ich unsinnige und langweilige Gespräche voller Gemeinplätze über Hypotheken, Garagenplätze, von ihren Kindern falsch ausgesprochenen Wörtern oder die neueste Netflix-Serie führen zu müssen. All diese Zeit verschenkte ich an andere, statt zu Hause zu lesen oder zu zeichnen oder einfach nur halbnackt an die Decke zu starren und die Risse im Putz zu betrachten.“

Aus „Geht so“ von Beatriz Serrano

Einzig ihre Kollegin Rita, die leider nicht mehr da ist, war da ein Lichtblick und jemand, der ihr ein wenig den Weg aus dem Dunkel hätte weisen können. Marisa hat sich eingerichtet in ihrem Leben, das sie nicht selbst bestimmt. Sie kann sich einen guten Lebensstil leisten, mit ihrem Nachbarn verbindet sie eine Freundschaft mit gelegentlichem Sex und die einsamen Stunden sind vergehen durch das Schauen von Videos. Wenn sie alleine isst, schaut sie sich Videos von einer Japanerin beim Essen an. Einmal wöchentlich telefoniert sie mit ihrer Mutter.

Alles verläuft nach vorgegebenen Mustern, einzig das Teambuilding-Wochenende bedeutet einen Ausbruch aus der Routine, allerdings einen, den sie nicht will. Sie fühlt sich einfach nicht wohl in diesem Leben, diesem Arbeitsleben, das sich hauptsächlich mit dem schönen Schein beschäftigt und nicht in die Tiefe geht. Das wird sehr deutlich hervorgehoben.

Beatriz Serrano hat es geschafft, dass ich, während ich lauthals lachen musste, gleichzeitig tief betroffen war von der Einsamkeit und dem Gefühl der lähmenden Langeweile im Leben dieser jungen Frau. So viel Hoffnungs- und Ausweglosigkeit habe ich selten beim Lesen gespürt. Sie ist so jung und schon so fertig mit dem Leben. Für mich sieht das nach dem aus, was unter einem Boreout verstanden wird, das Ausbrennen durch Langeweile und Bullshit Jobs.

Etwas, das immer mehr Einzug in unsere Arbeitswelt hält. Marketing kann so ein Arbeitsfeld sein, aber auch viele andere Arbeitsbereiche. Wenn, um ein bisschen pathetisch zu werden, das „Warum“ fehlt. Wofür macht man das alles? Klar, zunächst einmal um die Miete, Essen, Klamotten usw. zu bezahlen und dann doch auch, weil es Themen gibt, die einem am Herzen liegen, weil man Teil einer Sache sein möchte. Wenn das nicht klappt, dann doch wenigstens ein Job in einem tollen Team und nicht mit Menschen arbeiten müssen, die einen total abf*cken, oder?

Marisa ist unglaublich einsam, was vielleicht etwas ist, was die jüngere Generation noch einmal anders betrifft als uns Ältere und Mittelalte, die wir schon etwas gefestigter sind in unseren Beziehungen. Die Corona-Zeit hat da viel zu beigetragen, eine entscheidende Phase, die vielen fehlt und die es danach nicht leichter gemacht hat, Kontakte zu knüpfen, gerade wenn man 24/7 online sein kann und das ein Rettungsanker in der Covid-Zeit war. Sie hat kein soziales Beziehungsnetz, das sie trägt, zum Lesen reicht ihre Konzentration schon nicht mehr und sie ist zu müde, zu schlapp, um das zu ändern.

„Vielleicht liegt das Problem einiger Menschen – und mit einige Menschen meine ich Leute wie mich – darin, dass wir irgendwann der Überzeugung sind, das Leben würde uns irgendwann, wenn wir es am wenigsten erwarten, mit etwas Wunderbarem überraschen. Eines Tages stolpern wir ganz bestimmt über unser Quäntchen Glück und ab da werden wir dann für immer glücklich sein, weil sich alles um uns herum verändert, ohne dass wir einen Finger rühren müssen. Das mit den Tabletten zum Frühstück hätte sich erledigt und genauso das Gefühl der Leere, wenn man nach Hause kommt.“

Aus „Geht so“ von Beatriz Serrano

Gleichzeitig ist das Buch eine Anregung für mich, einmal selbst einen Blick zurückzuwerfen. Als ich damals mein Praktikum in Madrid gemacht habe, hatte ich Wünsche für mein Leben. Was ist davon eingetreten, was nicht und was davon kann ich jetzt noch umzusetzen oder dem, was vielleicht nicht so gelaufen ist, noch einen positiven Schwung geben? Wo liegen die Bullshit-Fallen und was geht da noch?

Beatriz Serrano hat die Geschichte sprachlich sehr gut umgesetzt, ein durchaus überraschendes Ende eingebaut und immer wieder für witzige Momente gesorgt, was vor allem auch die Bürokommunikation angeht. Da wird sehr elegant ein Spiegel vorgehalten (freu dich schon einmal auf den Teil der Agenturkommunikation nach besagtem Wochenende) und auch da musste ich sehr laut lachen, obwohl es völlig unpassend war. Die Übersetzerin, Christiane Quandt, hat ganze Arbeit geleistet, denn es kam mir beim Lesen oftmals in den Sinn, wie unterschiedlich das Spanische und das Deutsche bestimmte Begriffe verwenden. In keiner Sprache kenne ich so viele Kraftausdrücke und das nicht ohne Grund.

Es war gut, dass ich noch einmal zurück gescrollt habe und das Buch auf meine Leseliste gesetzt habe, wäre mir doch eine großartige Lektüre entgangen.

Zur Autorin:.

Beatriz Serrano wurde 1989 geboren und wuchs in Valencia auf. In Madrid studierte sie Journalismus und arbeitet bei der Tageszeitung El País. Auch veröffentlichte sie unter anderem bei BuzzFeedVanity FairGQHarper’s Bazaar und Vogue. Zusammen mit Schriftsteller Guillermo Alonso hostet sie den Podcast Arsénico Caviar, ein Gesprächspodcast, der 2023 mit dem Ondas-Preis ausgezeichnet wurde. Nachdem ich „Geht so“ gelesen habe, habe ich damit begonnen, diesen Podcast zu hören und auch wenn ich nicht alles verstehe (wie kann man so schnell sprechen?) , fühle ich ich gut unterhalten und mag auch dieses Lachen, das versprüht so viel Lebenslust und die Themen sind gut gewählt. Auf Spanisch erschien schon ein weiterer Roman „Fuego en la garganta“.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Geht so
Autorin: Beatriz Serrano
Übersetzerin: Christiane Quandt
Erscheinungsdatum: 28.03.2025
Verlag: Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0212-6

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das mir über das Portal Bloggerjury und vom Eichborn Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Vielen Dank dafür!

Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Bücher kaufe ich am liebsten in kleinen, unabhängigen Buchhandlungen, das geht dort auch online. #SupportYourLocalBookshop

Wenn du sagst, „Geht so“ hat mir gefallen, dann kann ich dir noch „Content“ von Elias Hirschl ans Herz legen. Eine bitterböse Geschichte über Bullshit Jobs im Marketing. Es war eines meiner Lesehighlights 2024.

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