Urlaub mit den Schwiegereltern – Die Ferien von Weike Wang

Auf dem Foto ist das Buch "Die Ferien" von Weike Wang auf einer Wiese liegend abgebildet. Das Bild dient als Header-Bild für die Rezension des Buchs.

Aktualisiert am 28. September 2025 von Antje Tomfohrde

Übersetzt von Andrea O’Brien

Worum geht es in dem Roman?

Urlaub mit den Schwiegereltern und – weil ja kein Elternpaar benachteiligt werden soll – gleich mit beiden, das kann ja nur schief gehen.

„Sie würden Manhattan den Rücken kehren und einen Monat in Fußnähe zum Atlantik verbringen, in einem klassischen New-England-Cottage mit Giebeln, Fensterläden und zwei Schlafzimmern. Zwei Schlafzimmer, damit ihre und seine Eltern sie besuchen konnten, nacheinander.“

Aus „Die Ferien“ von Weike Wang

Die kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründe des Ehepaars könnten unterschiedlicher nicht sein. Keru ist die Tochter chinesischer Einwanderer, Unternehmensberaterin, dazu erzogen, „es“ zu schaffen in dem Land, in das sie mit ihren Eltern als sechsjähriges Kind eingewandert ist. Nate hat als erster in seiner Familie einen Uniabschluss, er ist Biologe und forscht zum Sozialverhalten von Fruchtfliegen. Seine Familie sieht sich als typisch amerikanische Familie und grenzt sich von Einwanderern ab.

Beide Ursprungsfamilien haben eins gemeinsam: es werden dringend Enkelkinder erwartet und dies wird bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verkündet.

Kerus Eltern waren zuerst an der Reihe. Seit der Pandemie war ihr Sauberkeitsfimmel in eine Art Wahn übergegangen, so dass Keru vor Ankunft der Eltern einmal das Ferienhaus komplett reinigte. Während des Besuchs blieb man im Cottage, um sich nicht Viren und Bakterien auszusetzen und Kerus Eltern traktierten ihre Tochter mit ihren Vorstellungen, wie ihr Leben auszusehen hätte.

„Keru fühlte sich zweierlei Kräften ausgesetzt, dem Druck ihrer Eltern, die sie zur Assimilation drängten, und der Anziehungskraft der sagenumwobenen weißen Familie, in der man als schlimmste Strafe ohne Hackbraten ins Bett geschickt wurde und unter eingespieltem Gelächter hinauf ins Zimmer stapfte, in das wenig später dann doch noch die Mutter kam, mit Schokolade, und einem zur Nacht einen Kuss auf die Stirn drückte.“

Aus „Die Ferien“ von Weike Wang

Nates Eltern kamen laut und bollerig zum Ferienhaus. Statt selbstgekochtem Essen brachten sie Brennholz fürs Lagerfeuer, ausklappbare Stühle, ihre eigene Kaffeemaschine, Kaffeebohnen, Vollmilch und ihren ganz eigenen Vorstellungen mit.

Fünf Jahre später gibt es wieder einen gemeinsamen Urlaub. Nates Vater ist mittlerweile gestorben, Keru macht Karriere und Nate verdient auch als verbeamteter Professor nicht viel mehr als vorher. Dieses Mal geht es in die Catskills und irgendwann taucht Nates Bruder Ethan mit seiner Freundin auf und das, was schon lange unter der Oberfläche brodelte, kocht hoch, auch zwischen Nate und Keru.

„Wenn es geht, verbringt Keru verlängerte Wochenenden in New York, wo sie, Nate und Mantou nichts unternehmen, weil sie müde ist und er müde ist und dauermüde zu sein ermüdend ist. Aber bald schon steht ein zweiwöchiger Urlaub an, und Nate fragt, ob Wastun nicht besser wäre als Nichtstun. Keru ist das egal, und Nate behauptet, ihm auch, was aber nicht stimmt.“

Aus „Die Ferien“ von Weike Wang

Wie hat mir „Die Ferien“ gefallen?

Da das Buch als „unglaublich witzig“ angekündigt worden ist, hat es ein bisschen gedauert, bis ich mich davon verabschiedet hatte, einen lustigen Roman zu lesen und stattdessen einen Roman, der sich mit kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden beschäftigt.

Keru und Nate leben zwar in einem Land, stammen jedoch aus zwei völlig verschiedenen Welten, was sie nicht daran gehindert hat zu heiraten. Sie sind sich klar über ihre Unterschiede und haben die Gräben überwunden. Die Elternpaare sind sehr in ihrem gesellschaftlichen und kulturellem Kosmos verwachsen. So kann es Nate als Amerikaner aus der Arbeiterklasse niemals seinen chinesischen Schwiegereltern recht machen und Keru passt nicht zu Nates Familie, die eher dem entspricht, was als „White Trash“ bezeichnet wird. So wurde Nate auch nicht unbedingt dafür gefeiert, dass er als erster in der Familie einen Universitätsabschluss hat.

„Die Rolle der Tochter konnte nicht unbesetzt bleiben, und seine Schwiegereltern betrachteten ihn nicht als echten Sohn. In seiner Gesellschaft benahmen sie sich korrekt und höflich. Für sie war Nate wie der Mitarbeiter bei T.J. Maxx, eine Person, die sie kannten und der sie zulächelten, ansonsten aber keine Beachtung schenken mussten.“

Aus „Die Ferien“ von Weike Wang

Beide schaffen es auf den ersten Blick, sich aus der eigenen Ursprungsfamilie zu lösen und den eigenen Weg zu gehen. Sie haben einen Hund, Mantou, und sind sich darüber einig, keine Kinder haben zu wollen.

Die Idee, einen Roman zu schreiben, in dem ein Paar die Schwiegereltern zu einem gemeinsamen Urlaub einlädt, ist grandios, zumal dies gleich zweimal passiert, als ob sich nach dem ersten misslungenen Versuch noch einmal etwas ändern lässt oder sich jemand geändert hätte. Es war klar, dass es beide Male floppt und nach hinten losgeht.

Weike Wang arbeitet die Herkunftsunterschiede von Keru und Nate gelungen heraus, in dem sie auch die Eltern dazu einsetzt.

Die chinesischen Eltern Kerus, die am liebsten unter sich bleiben wollen, einen Sauberkeitsfimmel haben, ihr eigenes Essen mit in den Urlaub nehmen und ihre Tochter gezielt und vermutlich sogar ungewollt in die Mangel nehmen, weil sie es ja schließlich besser haben soll und sich die Opfer der Eltern lohnen sollen.

Nates Eltern und sein Bruder zeigen nicht nur die Unterschiede zwischen ihm und seiner Frau auf, sondern auch die Schwierigkeiten der amerikanischen Gesellschaft, was anhand der ersten Wahl Trumps auch immer wieder dokumentiert wird. Sie sind stolz darauf „richtige“ Amerikaner zu sein und blenden vieles einfach aus, was es an Problemen im Land gibt. Sie bevorzugen einfache Lösungen für Probleme, die nicht einfach zu lösen sind. Auch sieht man keinen Stolz auf die Leistung Nates, einen Abschluss in Biologie zu haben, schließlich verdient er damit nicht genug.

Beide, Nate und Keru, bekommen immer wieder ihr Fett weg, allerdings ist es bei Keru so, dass ihr irgendwann der Kragen platzt und alles über die Jahre in sich Angestaute herausbricht, ein Art reinigendes Gewitter, was für Keru und Nate auf jeden Fall eine Chance birgt, denn ihre Beziehung wirkt auf mich im Laufe des Romans wie eine liebgewonnene Pflicht, scheintot. Da kann dieser emotionale Ausbruch der sehr kontrollierten Keru hoffentlich eine Wendung bringen, zumal klar geworden ist, dass beide ihre gelernten Rollen spielen.

„Die Ferien“ zeigt, dass bestimmte Schwierigkeiten und Herausforderungen von einer Generation an die nächste weitergegeben werden und wie schwer es ist, sich davon zu lösen, um dieses Päckchen abzulegen und es nicht weiter zu tragen.

Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen, auch wenn es mich nicht komplett überzeugt hat. Mir fehlt die Zeit zwischen den Urlauben, eine Begründung, warum die Autorin fünf Jahre hat verstreichen lassen und es war nicht mein Humor, falls es denn wirklich witzig gemeint war. Der Kern war für mich, dass Keru und Nate an sich und an ihre Beziehung glauben und sie für sich trotz vieler äußerer familiärer Widrigkeiten oder gerade deswegen ihren Weg finden.

„Dann saßen nur noch Nate und Keru an diesem Tisch. Sie formten eine Gerade. Eine Gerade führt in die Unendlichkeit, in beide Richtungen.“

Aus „Die Ferien“ von Weike Wang

Über die Autorin:

Weike Wang wurde in Nanjing in China geboren und zog im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie in die USA, nachdem sie zuvor in Australien und Kanada gelebt hatte. Sie studierte Chemie in Harvard und promovierte dort auch. Von ihren bislang drei Büchern wurde „Die Ferien“ als erstes in Deutsche übersetzt. Sie wurde u. a mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet und lebt in New York.

Über die Übersetzerin:

Andrea O’Brien wurde 1967 geboren und studierte an der RWTH Aachen und Trinity College Dublin Anglistik und Germanistik. Seit zwanzig Jahren übersetzt sie Literatur aus dem Englischen, zum Beispiel „Mitternachtsschwimmer“ von Roisin Maguire oder „Und dann verschwand die Zeit“ von Jessie Greengrass. Sie lebt in München.

Informationen zum Buch
Buchtitel: Die Ferien
Autorin: Weike Wang
Übersetzerin: Andrea O’Brien
Erscheinungsdatum: 22.07.2025
Verlag: Kjona Verlag GmbH
ISBN: 978-3-910372-48-1

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das mir über Kirchner Kommunikation vom Kjona Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich herzlich! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

„Gratisessen für Millionäre“ von Min Jin Lee ist ein Buch, dass ich dir im Zusammenhang mit „Die Ferien“ empfehlen kann. Auch hier geht es um einen „Clash of Cultures“ und wie es gelingt, unabhängig von der Familie und ihren Erwartungen den eigenen Lebensweg zu gehen.

Wenn du mehr zum Kjona Verlag und wie es zu seiner Gründung gekommen ist, hör mal in Folge 32 des Die Bücherstaplerinnen Podcasts rein. Lars Claßen, einer der beiden Verlagsgründer, war bei Valerie und mir zu Gast und erzählt, wie es zur Gründung kam, wie Nachhaltigkeit und Work-Life-Balance umgesetzt werden und natürlich geht es auch um die Bücher des Verlags.

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