Gegen alle Widerstände – Malnata von Beatrice Salvioni

Auf dem Bild ist das Buch Malnata von Beatrice Salvioni auf einem Holztisch liegend fotografiert. Daneben steht eine Tasse mit Tee und eine Dose mit Bookdarts. Es ist das Header-Bild zur Rezension des Buchs.

Aktualisiert am 23. August 2025 von Antje Tomfohrde

übersetzt von Anja Nattefort

Debüt- und Coming-of-Age-Romane üben eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus, so dass es kein Wunder war, dass „Malanata“ auf meiner Leseliste landete. Dazu hat es noch ein historisches Setting im Italien der 30er Jahre und handelt von der Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Mädchen.

Worum geht es in „Malnata“?

„Es ist nicht leicht, sich vom Körper eines Toten zu befreien.“ Mit diesem Satz beginnt Beatrice Salvioni ihren Debütroman „Malnata“.

Francesca und die Malnata, eigentlich Maddalena, sind beide ungefähr zwölf und leben in Monza im faschistischen Italien des Jahres 1935. Zwei Mädchen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Francesca ist die Tochter einer Fabrikantenfamilie, Maddalena kommt aus einer Arbeiterfamilie und ist mit dem Fluch belegt, Unheil zu bringen.

„Alle nannten sie die Malnata, „die Unheilbringende“, und niemand konnte sie leiden. Ihren richtigen Namen zu sagen brachte Unglück, denn sie war eine Hexe, eine von denen, die dir den Tod einhauchen. Sie hatte den Teufel im Leib, und ich sollte auf keinen Fall mit ihr sprechen.“

Aus „Malnata“ von Beatrice Salvioni

Es kommt, wie es kommen muss, die beiden Mädchen freunden sich an und verbringen jede freie Minute miteinander. Francesca ist nach außen hin das brave Mädchen, das immer adrett ist, saubere Kleidung trägt und nur spricht, wenn es ihm erlaubt wird. Maddalena ist das genaue Gegenteil davon, barfuß, immer leicht verdreckt, die Haare ungerade geschnitten und sie sagt, was sie denkt.

„Die Welt bestand aus Regeln, die man nicht übertreten durfte. Aus schrecklichen und gefährlichen Erwachsenendingen und aus nicht wiedergutzumachenden Fehlern, die jemanden töten oder ins Gefängnis bringen konnten. Ein furchterregender Ort voller Verbote, wo man sich vorsichtig wie auf Zehenspitzen bewegen musste, um ja nichts zu berühren. Vor allem als Mädchen.“

Aus „Malnata“ von Beatrice Salvioni

Maddalena wird fast immer mit den zwei Jungen Matteo und Filippo am Fluss von Francesca gesehen. Sie ist die Anführerin und irgendwann kommt Francesca hinzu, was das Gruppengefüge ändern wird. Oftmals machen sie Dinge, die an der Grenze des Verbotenen sind, für Francesca eine neue Welt. Sie lernt die Familie ihrer Freundin und ein ganz anderes Leben kennen.

Im Hintergrund des Buches kommt die Bedrohung des Krieges immer näher und eines Tages ist es soweit, der Krieg in Ostafrika beginnt. Maddalenas Bruder wird eingezogen und es ändert sich vieles im Leben der Mädchen, auch ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt.

Wie hat mir das Buch gefallen?

„Malnata“ wird aus der Sicht von Francesca erzählt, die zum einen mitten drin ist in der Geschichte und trotzdem auf mich auch wie eine Beobachterin wirkt. Sie kommt aus einer „guten“ Familie, ist bislang immer angepasst gewesen und fällt erst aus der ihr anerzogenen Rolle, als sie mit der Malnata, die wie eine Aussätzige behandelt wird, in Kontakt kommt.

Kurz davor gab es allerdings auch in ihrem Leben eine Veränderung. Dem Unternehmen des Vaters geht es nicht so gut, so dass sie in eine Wohnung umziehen mussten und von vier Hausangestellten nur eine mitnehmen konnten. Ihre Eltern leben zwar zusammen, aber nicht wirklich miteinander. Der Vater wirkt auf den ersten Blick eher uninteressiert am Familienleben und die Mutter verfolgt ihre eigene Agenda, da ist auch Francesca mal eher ein Mittel zum Zweck. Sie erfährt wenig Liebe und Unterstützung von ihrer Mutter. Wäre da nicht Carla, das Hausmädchen, wäre ihr Leben ohne eine fürsorgliche weibliche Bezugsperson.

Beatrice Salvioni beginnt das Buch mit einem Ausblick aufs Ende und erzählt danach das Jahr davor. So ist von vorneherein klar, dass es keine gemütliche Pippi-Annika-Geschichte wird, in der sich zwei völlig unterschiedliche Mädchen anfreunden und aufregende Abenteuer erleben. Es ist die Geschichte zweier Mädchen, die sich gegen alle Widerstände anfreunden und deren Freundschaft immer wieder auf die Probe gestellt wird. Sie lernen „Nein“ zu sagen und sich gegen das, was die Gesellschaft erwartet, zu wehren.

„Es war kein Jahr her, dass ich mich in einem trockenen, gebügelten Kleid über die Brüstung des Ponte dei Leoni gebeugt hatte, um Maddalena aus der Ferne zu beobachten, von der ich nur wusste, dass sie Unheil brachte. Damals hatte ich noch nicht gelernt, dass ein einziges Wort von ihr genügte, um zu entscheiden, ob man gerettet oder getötet wurde, ob man mit triefenden Socken nach Hause zurückkehren durfte oder bis in alle Ewigkeit mit dem Gesicht im Fluss schlief.“

Aus „Malnata“ von Beatrice Salvioni

Das Setting im faschistischen Italien, dass die Bevölkerung auf den Krieg und den „Duce“ einschwört, eine Gesellschaft, in der keiner dem anderen mehr trauen kann, tut ein Übrigens, um dem Roman von Anfang an einen dunklen Touch zu geben. Oder – um es anders zu formulieren – Beatrice Salvioni hat die Geschichte von Anfang so konstruiert, dass ich einfach immer weiterlesen musste, um zu erfahren, wie es zu dem Geschehnis am Anfang kommen konnte und was danach geschah.

Es ist natürlich eine Erzählung von einer tiefen Mädchenfreundschaft, die wirklich durch harte Schicksalsschläge durch dick und dünn gehen und aufbegehren gegen eine totalitär und patriarchalische Gesellschaft, in der Frauen nicht viel zu sagen hatten. Das Risiko, was die beiden Mädchen an der Grenze zum Frau Werden eingehen, ist sehr, sehr groß. Gleichzeitig wird auch die Verlogenheit gezeigt, mit der zum Beispiel vorgetäuscht wird, den Ehering für die Kriegskosten des „Duce“ zu spenden, der aber nur eine billige, eigens für diesen Zweck angefertigte Kopie ist.

Themen wie gesellschaftliche Ungleichheit, Ungerechtigkeit, die allein aufgrund von Schichtzugehörigkeit noch vertieft wird, Mobbing in der Schule, Ausgeschlossensein und die politische Bedrohung durch den Faschismus sind spürbar und werden in der Erzählung Salvionis plastisch dargestellt. Auch zeigt sie auf, wie abergläubisch die Menschen sind, in dem sie ein zwölfjähriges Mädchen für schreckliche Unglücksfälle verantwortlichen machen. Es wird nicht mehr der wahre Grund für etwas gesucht, denn praktischerweise gibt es ja die „Malnata“, die als Sündenbock herhalten kann.

„Wenn sie über die Malnata sprachen, malten sich die Erwachsenen mit den Fingerspitzen ein Kreuz auf die Lippen oder wedelten unwirsch mit der Hand, wie um eine Wespe zu verjagen, so als hätten sie vor ihr Angst. Über ein Mädchen, das die erste Klasse der Oberschule wiederholen musste, redeten sie wie über eine schlimme Krankheit oder ein rostiges Stück Eisen, an dem man sich verletzen und dann an hohem Fieber sterben kann.“

Aus „Malnata“ von Beatrice Salvioni

Eine spannende Erzählung, die allerdings noch nicht zu Ende erzählt ist, es wird einen weiteren Teil geben, so dass ich gespannt bin, wie es weitergehen wird mit Maddalena und Francesca. Es ist also ein wenig Geduld gefragt nach dem Lesen dieses ersten Teils.

Über die Autorin:

Beatrice Salvioni ist Jahrgang 1995 und studierte Literatur an der Universität Mailand. Danach besuchte sie die von Alessandro Baricco gegründete Schreibschule Holden in Turin. Eine ihrer Erzählungen wurde mit dem Premio Calvino ausgezeichnet. „La Malnata“ ist das literarische Debüt von Beatrice Salvioni und verkaufte sich innerhalb weniger Wochen in 20 Länder (mittlerweile sind es 35).

Informationen zum Buch
Buchtitel: Malnata
Autorin: Beatrice Salvioni
Übersetzerin: Anja Nattefort
Erscheinungsdatum: 15.05.2024
Verlag: Penguin Verlag
ISBN: 978-3-328-60271-2

PS: Mein Buch ist ein kostenloses Leseexemplar, das mir über das Bloggerportal vom Penguin Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Hierfür bedanke ich mich ganz herzlich! Ob mir ein Buch kostenlos als Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde, ich es geliehen, geschenkt bekommen oder selbst gekauft habe – all dies hat keinen Einfluss auf meine Rezension. Meine Rezensionen geben allein meine Meinung wieder, die ich mir während des Lesens gebildet habe.

Als ich überlegt habe, welches Buch gut zu „Malnata“ passt, ist mir sofort „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl eingefallen. Auch in diesem Buch geht es um Wut, Verlust und um weibliche Freundschaft, auch wenn sie sich von der Erzählung her sehr unterscheiden.

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